Der Wirtschaftsforscher Martin Kocher ist am Montag in der Hofburg von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als neuer Arbeitsminister angelobt worden. Der 47-jährige bisherige Leiter des Instituts für Höhere Studien tritt die Nachfolge von Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher (ÖVP) an, die am Samstag wegen einer Plagiatsaffäre zurückgetreten ist. Der gebürtige Salzburger Kocher ist parteifrei, zieht aber auf einem ÖVP-Mandat in die Regierung ein. Der neue Arbeitsminister Martin Kocher spürt bereits die "Bürde des Amtes",wie er in einer Twitter-Mitteilung am 11. Jänner schrieb
Bundespräsident Van der Bellen verwies bei der Angelobung auf die "beeindruckende akademische Karriere" Kochers, der nun vor einer "sehr herausfordernden Aufgabe" stehe, wie Van der Bellen mit Blick auf die Corona-bedingte "schwere Beschäftigungskrise" des Landes sagte. "Zu deren Bewältigung braucht es fachliche Kompetenz und Expertise, die Sie zweifellos mitbringen, und vor allem - ich möchte das betonen - auch ein Auge auf den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft."
Man müsse alles tun, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern - "und wir wollen in dieser Krise niemand zurücklassen", so der Präsident. Van der Bellen hob auch die Hobbys Kochers (Marathonlauf und Bergsteigen) hervor. Dazu brauche es "Durchhaltevermögen, Kondition, Zähigkeit", "Eigenschaften, die Sie in Ihrem neuen Amt gut brauchen können".
Kocher betonte nach seiner Angelobung, ganz entscheidend werde es sein, Arbeitsplätze zu schaffen - und dabei "auf alle Gruppen zu schauen". Es gebe Gruppen, die stärker von der Krise betroffen sind und solche, die weniger betroffen sind, so der Minister. Man werde die Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der derzeitigen Akut-Phase so gut es geht gestalten - aber auch dann nach Ende des Lockdowns und der derzeit aufrechten Schließungen (etwa in der Gastronomie, im Handel oder im Tourismus, Anm.), "um Menschen in Beschäftigung zu bringen".
Die Agenden für Familie und Jugend, die bisher in Aschbachers Zuständigkeitsbereich lagen, werden in weiterer Folge an Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) gehen. Dafür ist aber noch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes nötig.
Der Ökonom und Hochschullehrer Kocher übernahm im September 2016 die Leitung des Instituts für Höhere Studien (IHS). Seit Juni 2020 fungierte er auch als Präsident des Fiskalrates, der die Staatsfinanzen überwacht und budgetpolitische Empfehlungen gibt. Martin Kocher gilt als Experte für Verhaltensökonomie und bis zu seinem Wechsel nach Wien als einer der aktivsten Forscher auf dem Gebiet der experimentellen Wirtschaftsforschung in Deutschland, wo er bis 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München arbeitete.
Kurz begründete Kochers Kür dann mit den Herausforderungen der Corona-Krise. Nach der Pandemie werde es darum gehen, "Österreich wieder zu alter Wirtschaftsstärke zurückzuführen und möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu bringen". Das wolle er mit einem "starken Team machen", welches nun um einen "zusätzlichen Topexperten" erweitert werde.
Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl (SPÖ) hatte schon am Vormittag angekündigt, dem neuen Minister angesichts der hohen Arbeitslosigkeit keine "Schonfrist" gewähren zu können. Dies sah am Sonntag auch Kocher selbst so. Die Nominierung sei auch für ihn "überraschend" gekommen, aber: "Es gibt keine Einarbeitungszeit. Wir werden voll mit heute Nachmittag losstarten und die Herausforderungen angehen." Inhaltlich nannte er drei Schwerpunkte: die Bewältigung der akuten Krise bis zum Sommer sowie das Schaffen von Beschäftigung und die "Zukunft der Arbeit".
Die anderen Parteien bereiteten dem neuen Minister einen überwiegend freundlichen Empfang. Für den Grünen Vizekanzler Werner Kogler ist der neue Regierungskollege ein "kluger Ökonom und vorausschauender Experte". Aber auch SPÖ, FPÖ und Neos lobten seine Qualifikation. Wenngleich SP-Vizeklubchef Jörg Leichtfried betonte, Kocher an seinem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu messen und Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker sich eine größere Regierungsumbildung inklusive Trennung von Gesundheits- und Sozialministerium gewünscht hätte. Einzig FP-Klubchef Herbert Kickl kritisierte Martin Kocher als "beinharten wirtschaftsliberalen Theoretiker", nachdem Parteichef Norbert dem neuen Minister alles Gute gewünscht hatte.
Ein erstes Gespräch Kochers mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen fanden noch am Sonntag statt, am Montag dann die offizielle Angelobung. Wobei Martin Kocher vorerst noch alle Funktionen seiner abgetretenen Vorgängerin Aschbacher übernimmt. Nach einer entsprechenden Änderung des Bundesministeriengesetzes wandert die Zuständigkeit für Familie und Jugend dann zu Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) ins Kanzleramt, was formal eine weitere Angelobung erfordert. Bei SPÖ und Neos sorgt dieser Plan für Kritik: SP-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek kritisierte die Vermischung von Frauen- und Familienpolitik und warf Raab vor, schon als Frauenministerin untätig zu sein.
Zurückgetreten war Aschbacher am Samstagabend, nachdem bekannt geworden war, dass nicht nur ihre Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 unter Plagiatsverdacht steht, sondern auch ihre bereits als Ministerin eingereichte Dissertation. Für diese an der Technischen Universität Bratislava geschriebene Abschlussarbeit hatte Aschbacher an mehreren Stellen fremde Artikel übernommen, ohne die Zitate ordnungsgemäß auszuweisen. Ihren Rücktritt stellte die ÖVP-Politikerin dann als Schritt zum Schutz ihrer Familie dar. Die TU Bratislava kündigte (wie zuvor schon die für die Diplomarbeit zuständige Fachhochschule Wiener Neustadt) die Überprüfung der Abschlussarbeit an. Eine rückwirkende Aberkennung des Titels ist in der Slowakei gesetzlich aber nicht vorgesehen.
(APA/red)
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