Ende für Kopftuchverbot an Volksschulen nach VfGH-Urteil

Das unter der ÖVP-FPÖ-Regierung eingeführte Kopftuchverbot für Kinder ist verfassungswidrig und muss daher aufgehoben werden. Das gab am Freitag der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bekannt. Demnach verstößt die Regelung im Schulordnungsgesetz gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates, da sie de facto nur auf Muslime abzielt. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) sieht ihr Vertrauen in den Rechtsstaat wieder hergestellt.

Kopftuchverbot an Volksschulen verfassungswidrig

Wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter in der Urteilsbegründung am Freitag erläuterte, begründe der Gleichheitsgrundsatz in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. Zwar beziehe sich das von der türkis-blauen Regierung eingeführte Verbot nicht ausdrücklich auf das Tragen eines islamischen Kopftuches. In den Gesetzesmaterialien zum Schulunterrichtsgesetz komme jedoch die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass konkret das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt werden soll.

Hidschab verboten, Patka erlaubt

Verlangt hatten die Aufhebung des Kopftuchverbots zwei Kinder und deren Eltern, die im Sinne der sunnitischen bzw. schiitischen Rechtsschule des Islam erzogen werden. Sie sahen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit und religiöse Kindererziehung - und auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, weil der Hidschab verboten sei, die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs aber nicht.

Religiös motiviertes Gesetz

Mit dem Kopftuchverbot werde "islamische Herkunft und Tradition als solche ausgegrenzt", kritisierte Grabenwarter: "Das punktuell eine einzige religiös oder weltanschaulich begründete Bekleidungsvorschrift herausgreifende Verbot des islamischen Kopftuches stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen." Außerdem warnen die Verfassungsrichter, dass sich eine "selektive Verbotsregelung" nachteilig auf die Inklusion betroffener Schülerinnen auswirken könne: "Es birgt das Risiko, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren beziehungsweise sie gesellschaftlich auszugrenzen."

Das Urteil des VfGH gilt sofort, es gibt keine Reparaturfrist. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde vom VfGH zur unverzüglichen Kundmachung im Bundesgesetzblatt verpflichtet. Der Bund -
konkret Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) - muss den Antragstellerinnen und Antragstellern zudem die mit 3.640,80 Euro bestimmten Prozesskosten innerhalb von zwei Wochen ersetzen. Das schriftliche Erkenntnis liegt noch nicht vor und wird nachgeliefert.

Faßmann pro Kopftuchverbot

Bildungsminister Faßmann selbst bedauerte die Aufhebung des Kopftuchverbots an Volksschulen. Über eine mögliche Neuregelung wollte man im Bildungsministerium noch nichts sagen. "Wir nehmen das Höchstgerichtsurteil selbstverständlich zur Kenntnis und werden uns mit den Argumenten auseinandersetzen", so Faßmann und weiter: "Ich bedaure, dass Mädchen dadurch nicht die Möglichkeit haben, frei von Zwang ihren Weg durchs Bildungssystem zu gehen."

Für Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Frauenministerin Susanne Raab (beide ÖVP) ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zum Kopftuchverbot "natürlich zu akzeptieren, denn wir leben in einem Rechtsstaat". Sowohl aus integrations- als auch aus frauenpolitischer Sicht findet es Raab "allerdings bedauerlich, wenn kleine Mädchen bereits in der Volksschule ein Kopftuch tragen und sich verhüllen müssen".

Gespaltene Polit-Lager

SPÖ, Grüne und Neos reagierten erfreut auf die Aufhebung des Kopftuchverbots. "Die Entscheidung des Höchstgerichts ist zu respektieren, jetzt sind die Regierungsfraktionen am Zug", hieß es aus dem SPÖ-Klub. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer betonte die freie Entfaltung und Selbstbestimmung von Mädchen und jungen Frauen. FPÖ-Obmann Norbert Hofer bedauerte hingegen die Entscheidung und hofft auf eine Reparatur des Gesetzes durch eine Verfassungsmehrheit.

Gegen Zwang jeglicher Form

Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist die Aufhebung des Kopftuchverbots an Volksschulen durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Ende populistischer Verbotspolitik. Die Entscheidung beweise, "dass unser Vertrauen in den Rechtsstaat und unsere Geduld sich ausgezahlt haben", sagte Präsident Ümit Vural am Freitag in einer Aussendung. Gleichzeitig bekräftigte er: "Die IGGÖ ist gegen Zwang jeglicher Form."

Die Auswirkungen des Kopftuchverbots hielten sich ohnehin in Grenzen: In Wien gab es seit Inkraftreten keine einzige Anzeige in diesem Zusammenhang, teilte eine Sprecherin der Magistratsdirektion der APA auf Anfrage mit. Auch in Oberösterreich, Salzburg und Tirol hat es bisher keinen einzigen Fall gegeben, der in eine Anzeige gemündet hätte.

(APA/red)