Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat am Mittwoch eingestanden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) von der slowakischen Polizei über den versuchten Munitionskauf des 20-jährigen Wiener Terrorattentäters informiert wurde. Dann sei aber "offensichtlich in der Kommunikation etwas schief gegangen", so der Minister. Er will jetzt eine Unabhängige Untersuchungskommission einrichten. Auch Nehammer betonte, dass "wo und warum etwas schief gegangen ist" von der Untersuchungskommission geklärt werden müsse.
Kommentar: Die eindeutige Warnung aus dem Innenministerium der Slowakei an die heimischen Behörden muss wohl der Hund gefressen haben. Für viele Menschen ist es schlichtweg unfassbar, dass die Hinweise, wonach der einschlägig vorbestrafte Attentäter Munition für eine Kalaschnikow in Bratislava kaufen wollte, offenbar ignoriert wurden.
Es müsse geklärt werden, "gab es Dinge, die passiert sind, die so nicht hätten passieren dürfen und wo gilt es Nachschau zu halten, dass wir in unserem Gesamtsystem uns besser vor Gefährdern schützen können", sagte Nehammer. Der Verfassungsschutz, sowohl LVT als auch BVT, "hat die notwendigen Abklärungen vorgenommen und Rückfragen getätigt in der Slowakei", sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Weitere Ermittlungsschritte wurden offenbar nicht getätigt, auch wurde die Justiz nicht darüber informiert. Es müsse nun erst geklärt werden, ob dies "optimal verlaufen ist". Der Informationsvorgang sei auf nachrichtendienstlicher Ebene abgelaufen, sagte Ruf.
Wer am Anschlag schuld ist, sei aber "ganz klar zu beantworten - es ist immer der Täter", konstatierte Innenminister Nehammer. Die Polizei habe auch in diesem Fall "hervorragend gearbeitet" und binnen neun Minuten den Attentäter ausgeschaltet, die Probleme habe es im Vorfeld gegeben. Offensichtlich sei in diesem Zusammenhang geworden, dass "der Verfassungsschutz alt, das BVT", durch seinen Amtsvorgänger, FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl "nachhaltig geschädigt worden ist, um nicht zu sagen, in dieser Zeit zerstört", konstatierte Nehammer. Dass ausgerechnet Kickl nun "am Lautesten schreie", damit qualifiziere er sich selbst ab.
Noch vor dem Auftritt Nehammers hatte dessen Amtsvorgänger Herbert Kickl scharfe Kritik geübt. Der FPÖ-Klubobmann warf Nehammer "Fehlinformation" vor. Entgegen der Aussagen des Ministers und seiner Spitzenbeamten seien der Täter wie auch sein Umfeld sehr wohl unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestanden. Es stelle sich die Frage, warum der Verfassungsschutz nicht "schon längst zugegriffen" habe. Aus seiner Sicht hätte das Attentat verhindert werden können.
Kickl verwies auf der FPÖ vorliegende Informationen, wonach der Täter unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand - und zwar ab dem Zeitpunkt unmittelbar nach seiner Haftentlassung bis hin zu seiner Tat am Montagabend. Kickl brachte zwei verdeckte Ermittlungs-Operationen mit den Namen "ANSA" und "ZULU" aufs Tapet. Erstere hätte Anfang 2020 begonnen und der Beobachtung der Islamistenszene in Wien "inklusive des späteren Attentäters" gedient.
Auch die Oppositionsparteien SPÖ und Neos stießen sich im Vorfeld des am Nachmittag tagenden Nationalen Sicherheitsrats vor allem am versuchten Munitionskauf in der Slowakei und der offenbar unterbliebenen Reaktion der Behörden nach der Meldung durch die slowakische Polizei. Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried und Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner zeigten sich in einer Aussendung "fassungslos" darüber, dass das Innenministerium über einen versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters in der Slowakei informiert gewesen sein soll. NEOS-Abgeordneter Douglas Hoyos forderte unterdessen die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission.
In einem internen Schreiben der im slowakischen Innenministerium angesiedelten nationalen Kriminalagentur heißt es, dass am 21. Juli 2020 zwei Personen - "wahrscheinlich mit arabischem, türkischem oder tschetschenischem Hintergrund" - in Waffengeschäften in Bratislava "Munition des Typs 7,62 x 39 mm für das Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow)" zu kaufen versucht haben. Diese Personen verwendeten dabei laut den Unterlagen einen weißen Pkw der Marke BMW mit österreichischem Kennzeichen. "Alle damit zusammenhängenden Informationen wurden über die nationale Verbindungsstelle von Europol am 23.7.2020 an die österreichischen Organe übermittelt."
Laut dem Dokument hat die österreichische Verbindungsstelle bei der europäischen Strafverfolgungsbehörde Europol dann die slowakischen Seite am 10. September 2020 darüber informiert, dass die österreichische Polizei bereits einen der beiden Männer namentlich identifiziert hatte. "Der Genannte ist der österreichischen Polizei in Zusammenhang mit Terrorismus bekannt", heißt es in dem Schreiben. Auch wird darauf verwiesen, dass der Betroffene im Jahr 2019 nach §278a (Verbrecherorganisation) und §278b (Terroristische Vereinigung) zu 22 Monaten Haft verurteilt worden war.
Ebenfalls erwähnt wird in dem Schreiben, dass das beim versuchten Munitionskauf benutzte Auto auf die Mutter eines weiteren 21-jährigen Mannes angemeldet war. Gegen diesen sei wegen dessen Radikalisierung bereits ein Verfahren geführt worden. Bei diesem Mann handelt es sich offenbar um einen derjenigen Männer, für die die Ermittler nach dem Attentat in Wien bei der Staatsanwaltschaft die Festnahme beantragt hatten. Die slowakischen Behörden wurden von der österreichischen Seite auch darüber informiert, dass der betroffene Mann mit kosovarischen Wurzeln regelmäßig eine Moschee besucht, er sei "streng gläubig und hat eine positive Einstellung
zum Dschihad und zum Islamischen Staat".
Der Wiener Terroranschlag dürfte tatsächlich nur durch den einen - erschossenen - 20-jährigen Täter erfolgt sein. Die mehr als 20.000 der Polizei übermittelten Videos seien fertig ausgewertet, die Ein-Täter-Theorie habe sich dadurch bestätigt, sagte Nehammer weiters. Die erhöhte Sicherheitsstufe für Wien bleibt dennoch aufrecht, erfuhr die APA im Innenministerium. Die Polizei hatte mehr als ein Terabyte an Daten von dem Anschlag in der Wiener Innenstadt am Montagabend auszuwerten. Für die Übermittelung der Videos war ein eigener Upload eingerichtet worden.
Bei der Pressekonferenz wurden außerdem erste Details zu den 14 festgenommenen Personen bekanntgegeben. Sie sind alle zwischen 18 und 28 Jahren alt und haben alle Migrationshintergrund, sagte Nehammer. Es handelt sich nicht nur um Österreicher, sondern auch um Männer aus Bangladesh, Mazedonien, der Türkei und der Russischen Föderation. Einige hätten die Doppelstaatsbürgerschaft, so wie der Attentäter. Schriftliche Unterlagen und Datenträger der Verdächtigen werden jetzt ausgewertet. Weitere Informationen dazu will das Innenministerium am Donnerstag bekanntgeben.
Die insgesamt 18 Hausdurchsuchungen und 14 Festnahmen stünden aber definitiv unmittelbar im Zusammenhang mit dem Terroranschlag, hieß es aus dem Innenministerium. Zuvor hatte es Spekulationen darüber gegeben, dass diese im Rahmen der Anti-Terror-Operation "RAMSES" durchgeführt wurden. Auch Ex-Innenminister Kickl stellte dies am Mittwoch in den Raum.
Die Polizei will nun das genaue Bewegungsprofil des Täter klären. Das liegt auch zwei Tage nach dem Attentat noch nicht vor, "und das hat seine guten Gründe", sagte der Wiener Polizeipräsident, Gerhard Pürstl. Denn es müssen 20.000 Videos ausgewertet werden. Dies gestaltet sich mühsam, weil die Ermittler nicht wissen, ob die Zeitlaufwerke überall gleich sind. Diese Videos müssen auch mit den Zeugenaussagen in Einklang gebracht werden, so Pürstl.
Die Frage ist, woher ist der Täter gekommen, wohin ist er gelaufen und wo sind die Schüsse abgegeben worden. Unklar ist, wie der 20-Jährige zum Tatort gekommen ist. Fest steht, dass er nicht mit der U-Bahn gekommen ist, wie die Auswertung der Überwachungskameras der Wiener Linien ergab.
Geklärt werden muss auch ein Video, das am 3. November aufgetaucht ist, worauf der Täter einen Treueschwur auf den IS geleistet hat. Denn es ist fraglich, ob die Botschaft vom Täter selbst gesprochen wird, da es sich um ein perfektes Arabisch oder eine nordafrikanische Sprache gehandelt hat, sagte Pürstl. Aufgrund des Lebenslaufes des 20-Jährigen ist auszuschließen, dass er diese Sprachen perfekt gekonnt hat. Die Frage ist, ob der Text von jemand anderen auch nachträglich hinzugefügt wurde.
Ruf gab auch weitere Details zum Terroristen bekannt. Dieser wurde in Wien geboren und besuchte die Volksschule, die Hauptschule, eine Fachmittelschule und zum Schluss eine HTL. Er hatte bis vor kurzem noch bei den Eltern gelebt. Am 22. August 2018 wollte er nach Afghanistan ausreisen, um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) anzuschließen. Er konnte allerdings nicht ausreisen, weil er kein Visum hatte und wurde laut Ruf wieder zurückgewiesen. Am 1. September 2018 erfolgte der nächste Versuch. Über die Türkei wollte er weiter nach Syrien, wurde jedoch von den türkischen Behörden festgenommen und in Schubhaft genommen. Von dort wurde er am 9. Jänner 2019 entlassen.
Am 10. Jänner 2019 reiste er per Flugzeug nach Wien, wo er von den österreichischen Sicherheitsbehörden am Flughafen als sogenannter "Foreign Terrorist Fighter" erkannt und festgenommen wurde. In einem Strafverfahren wurde er deshalb wegen der Paragrafen 278a (Mitglied einer kriminellen Organisation) und 278b (Mitglied einer terroristischen Vereinigung) verurteilt. Am 5. Dezember 2019 erfolgte die bedingte Entlassung.
(APA/red)
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