Üble Nachrede hat sich die Regierung nach den erfreulichen Zahlen eigentlich nicht verdient. Schwere Erkrankungen durch das Coronavirus treten in Österreich recht selten auf. Anders als in einigen anderen Staaten. Dort konnte betroffenen Patienten oft nicht ausreichend geholfen werden. Unser hochgelobtes Gesundheitssystem hat standgehalten. Und alle können froh sein, so viel Steuern und Sozialabgaben in den letzten Jahrzehnten beigetragen zu haben. Sie konnten in der weltweiten Pandemie davon profitieren. Aber nicht nur davon kann das Land schöpfen: saubere Luft, ein ausgewogenes Sozialsystem, wirtschaftliche Stabilität und nicht zuletzt die funktionierende Altenpflege. Die Angst wütet trotzdem heftig im Land weiter und die Parole der Regierung lautet "wir machen das weiter".
Auf all das können die Österreicher zum 75. Jubiläum der Zweiten Republik zurecht stolz sein. Und noch mehr beim Betrachten der Zustände anderswo auf der Welt. Auch die Regierung zieht diesen Vergleich immer wieder, um ihr Maßnahmenpaket vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Die anfangs präsentierten Zahlen haben nicht gestimmt, die geschürten Ängste sitzen der Bevölkerung noch immer tief in den Knochen. Gemächlich versuchen Bundeskanzler Kurz und sein Vize Werner Kogler den Fahrplan wieder auf Normalkurs zu bringen und weisen Vorwürfe zurück, wonach die Regierung in der Corona-Krise bewusst Ängste geschürt habe. Physical Distancing und Maskenpflicht im Supermarkt seien die heilbringenden Methoden und sollen nicht madig geredet werden.
Die Opposition hatte am Montag den Vorwurf der Angstmache erhoben, weil im Protokoll einer Sitzung von Regierung und Experten vom 12. März von einem Spiel mit der Angst die Rede war. Kurz wies dies zurück: "Da viele Experten aufmerksam gemacht haben, dass Corona nicht die Grippe ist, haben wir (...) das auch öffentlich kundgetan." Es sei richtig gewesen, die Bevölkerung für die Gefahr des Virus zu sensibilisieren. "Das Ergebnis ist ein eindeutiges: Heute stehen wir in Österreich deutlich besser da als in vielen andern Ländern."
Auch Kogler sprach von einem verantwortungsvollen Handeln. Damals sei die Debatte fast mehrheitlich gewesen, dass das Coronavirus "so ähnlich wie das Grippevirus" sei. "Und viele Experten haben darauf hingewiesen, dass das doch anders ist. Natürlich haben wir darauf hingewiesen mit drastischen Beispielen", sagte er.
Auf die Frage, in wessen Auftrag das Expertenpapier von Ende März erstellt wurde, in dem von bis zu 120.000 möglichen Toten in Österreich die Rede war, und das Mit-Entscheidungsgrundlage für das Handeln der Regierung gewesen ist, blieb Kurz vage. "Es gab unzählige Experten, nicht jedes hat jemand in Auftrag gegeben." Manche Papiere "kenne ich, manche nicht". Es hätten ja unter Experten "ganz unterschiedliche Einschätzungen" bestanden. "Manche Experten tun das im Auftrag oder auf die Bitte der Regierung hin - oder einfach so, weil das ihr Job ist. Die Aufgabe der Politik ist es, das alles zusammenzuführen", so der Kanzler.
"Auf das konkrete Papier angesprochen: Wir waren mit vielen Mathematikern und Simulationsexperten in Kontakt. Ja, die Thesen haben sich teilweise sehr stark widersprochen. Manche haben sich als falsch herausgestellt, manche als teilweise falsch, manche als richtig. Das ist eben so." Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte am Vortag die Verantwortung für das Papier von sich gewiesen: "Also das eine Expertenpapier wurde nicht von mir in Auftrag gegeben", sagte er am Abend in der "ZiB 2" des ORF.
Kurz betonte, in Summe sei zu beurteilen, wie die Regierung bisher gehandelt habe und was das Ergebnis ist: "Wir sind deutlich besser durch die Krise gekommen als andere Staaten." So sei es zu keiner Überlastung der Intensivmedizin gekommen. "Hätten wir die Maflnahmen nicht gesetzt, wäre es definitiv zu einer Überlastung der Intensivkapazitäten gekommen und zu deutlich mehr Toten." Zu wie vielen genau, darüber wage er kein Urteil, betonte Kurz.
Grundsätzlich verwies der Kanzler auf die "sehr gute Nachricht", dass die Zahl der Neuinfektionen weiterhin niedrig sei, man liege am heutigen Mittwoch bei einem Wert von unter 50 neu positiv Getesteten. "Wir sehen, dass wir konstant auf niedrigem Niveau unterwegs sind", die Zahlen seien zuletzt stets unter 100. "Das ist in Europa und weltweit ein absoluter Spitzenwert." Man dürfe sich darauf aber nicht ausruhen, weil mit der Wiedereröffnung steige die Gefahr, dass die Zahlen wieder nach oben gehen, warnte er.
(APA/red)
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