Chronik

Kurz-Auftritt ohne Maske und Abstand sorgt für Empörung

© APA (Bundeskanzleramt)/Dragan Tatic

Der erste Termin von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) außerhalb Wiens seit zehn Wochen hat für große Aufregung gesorgt. Denn im Kleinwalsertal fanden sich viele sichtlich begeisterte Menschen ein, um Kurz zu empfangen - und hielten sich dabei nicht an den Corona-Mindestabstand. Eine Anzeigen-Ankündigung der Neos folgte. Auch SPÖ und FPÖ zeigten sich empört über die Szenen. Kanzler Kurz wollte dem Vorarlberger Kleinwalsertal einen Besuch mit Signalwirkung abstatten, was großartig gelungen ist. Am Tag, an dem die beabsichtigten Grenzöffnungen zu Deutschland und zur Schweiz offiziell wurden, besprach er sich am Abend nach einer mehrstündigen Autofahrt mit den Verantwortlichen an Ort und Stelle.

Abstandhalten ein Witz

Den Abstand sprach der Kanzler in einer improvisierten kurzen Ansprache auch an: "Ich bitte euch alle, a bissl an Abstand zu halten", sagte er, nachdem er sich seinen Weg durch die Menge zum Eingang gebahnt hatte - was mit einigen lauten Lachern quittiert wurde. Kurz, Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), Bürgermeister Andi Haid und andere Vorarlberger Politiker bemühten sich am zur Rede-Tribüne umfunktionierten Gebäudeeingang so gut es ging um Abstand. Masken waren auf dem Youtube-Video der Zeitung nur wenige zu sehen, manche trugen sie als "Halsband".

Der Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn zeigte sich empört: "Das ist ja unglaublich! Ist das echt? Die Kulturschaffenden, Theater und Filmemacher müssen sich über Hygienebestimmungen den Kopf zerbrechen. Wirte um Abstandsregelungen mit Masken und dann das" twitterte er - und kündigte eine Anzeige an: "Herr @karlnehammer walten Sie ihres Amtes! Wir werden eine Anzeige einbringen!", so ein weiterer Tweet des pinken Abgeordneten.

Angesichts einiger Kritik auf Twitter und einer von Neos angekündigten Anzeige zum Besuch von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Kleinwalsertal erneuerte das Bundeskanzleramt den Appell, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Obwohl man sich in der Organisation im Vorfeld und beim Besuch direkt darum bemüht habe, sei von Bewohnern und Medienvertretern "teilweise der Mindestabstand leider nicht eingehalten" worden. "Egal ob man den Bundeskanzler oder Freunde auf der Straße trifft: Der Abstand ist einzuhalten." Mit der Maske halte es Kurz in den Bundesländern nicht anders als in Wien: Bei Bewegungen in geschlossenen Räume trage er Mund-Nasen-Schutz, im Freien nicht.

"Was man gestern gesehen hat, entbehrt jeglicher Ernsthaftigkeit und jeglichem Verantwortungsbewusstsein", kritisierte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Donnerstag. Eine Anzeige solle geprüft werden. Es könne nicht sein, dass viele Menschen in den letzten Wochen 500 Euro zahlen mussten, weil sie auf einer Parkbank oder zu viert im Auto gesessen sind und der Kanzler die Regeln nicht einhalte.

Abstandsregeln gelten für alle

Empört über die Szenen zeigten sich auch SPÖ und FPÖ. Was in puncto Abstandsregeln für alle gelte, müsse auch für den Kanzler gelten, mahnten beide Parteien. Kurz sei jetzt eindeutig ein "Lebensgefährder" - noch dazu, wo in der Menge viele ältere Menschen gewesen seien, befand FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

Die SPÖ echauffierte sich über die "Skandalbilder" aus Vorarlberg und die "Verhöhnung der Bevölkerung". "Seit Wochen werden Leute mit hohen Geldsummen bestraft, die sich nicht an die Abstandsregeln halten, in Wien wurden vom Bund riesige Parkanlagen gesperrt, tausende Menschen arbeiten den ganzen Tag mit Atemschutz", sagte Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Doch "wenn der Kanzler meint, er muss einen Show-Auftritt machen, ist alles egal?", fragte er.

Auch bei diesem Medientermin von Peter Hanke, Michael Ludwig, Walter Ruck und Hans Arsenovic gab es ein Gedränge, wie die Bilder im ORF Wien Heute Beitrag belegen

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verweigerte eine Stellungnahme. Auf mehrere Nachfragen zur nicht eingehaltenen Abstandsregel bei der Veranstaltung in der Vorarlberger Gemeinde antwortete Anschober bei einer Pressekonferenz ausweichend oder gar nicht. Anschober erläuterte nur allgemein, wie wichtig es sei, jetzt eine zweite Infektionswelle zu vermeiden und fügte hinzu: "Das gilt für ganz Österreich."

Werbetour für Deutschland-Gäste

Das Kleinwalsertal mit seinen rund 5.000 Einwohnern gehört zwar zu Vorarlberg, ist aber auf dem Straßenweg nur über Deutschland zu erreichen. Weil die Grenzen noch geschlossen sind, musste sich der Bundeskanzler eine Transitgenehmigung im bayrischen Innenministerium besorgen, um überhaupt anreisen zu können. Als auf den deutschen Tourismus ausgerichtetes Zollausschlussgebiet - vor Einführung des Euro wurde im Kleinwalsertal mit D-Mark bezahlt - haben sich die Grenzschließungen in den vergangenen Wochen im Kleinwalsertal besonders einschneidend ausgewirkt. "Es herrschte im Kleinwalsertal von Anfang an eine besondere Situation. Es war eine Quarantäne aus geografischen Gründen", sagte Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP). Es sei ein Signal, "gemeinsam hier zu stehen und zu sagen: 'Wir wollen offene Grenzen!'"

Erst Ende April wurde eine Lösung gefunden, der zufolge die Kleinwalsertaler wenigstens nach Süddeutschland und ins restliche Vorarlberg fahren durften, ohne anschließend in 14-tägige Heim-Quarantäne zu müssen. "Wir haben die Hilferufe aus dem Kleinwalsertal gehört", betonte Wallner. Für Kurz war die Situation der Talschaft beispielhaft dafür, welch' schwierige Situationen die Coronakrise verursacht hat.

Grenzen zu Deutschland wieder offen

"Ich freue mich, dass wir mit guten Nachrichten im Gepäck kommen", sagte Kanzler Kurz, für den es der erste Besuch im Kleinwalsertal war. "Mich freut, dass wir einige Erleichterungen zustande bringen konnten. Die wirklich gute Nachricht: Mit 15. Juni sollen die Grenzen zu Deutschland und der Schweiz völlig fallen", so Kurz. Dazu müssten die Länder aber auch ihre Hausaufgaben machen und die Ansteckungsraten niedrig halten, sagte Kurz.

Der Kleinwalsertaler Bürgermeister Andi Haid bedankte sich für die "besondere Ehre und Freude", Kurz empfangen zu dürfen. "Wir hatten eine schwere Zeit und waren de facto sieben Wochen in Quarantäne", sagte das Gemeindeoberhaupt. Die neue Situation mache Hoffnung. Nun gebe es wieder eine Perspektive für den Tourismus, das einzige Standbein des Kleinwalsertals. "Ohne deutsche Gäste erleiden wir einen wirtschaftlichen Totalschaden", so der Bürgermeister zur APA. Er hoffte, dass Verhandlungen mit Deutschland über die Quarantänebestimmungen noch vor der Grenzöffnung weitere Erleichterungen bringen werden.

Schuld waren die Emotionen

Schuld wollte am Zusammenströmen der Bürger, als Kurz gemeinsam mit Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner und Staatssekretär Magnus Brunner (beide ÖVP) im Ortsteil Hirschegg eintraft, niemand sein. Haid verwies darauf, dass noch am Tag des Besuchs an die anwesende Bevölkerung ein Flugblatt verteilt worden sei, mit dem gebeten wurde, "zum Schutz Ihrer Gesundheit und auch aufgrund der anwesenden Medien die geltenden Covid-19-Regeln [...] einzuhalten". Die Vorarlberger Polizei wiederum stellte schlicht fest, dass es sich beim Besuch von Kurz um einen Medientermin gehandelt habe. Deshalb habe man auch keinen Auftrag gehabt, den Termin zu überwachen.

Freilich, dass es zu regem Interesse der Bevölkerung kam, war schon auch der Lokalpolitik geschuldet. Denn in einer später teils zurückgenommenen Information der Gemeinde Mittelberg war im Vorfeld kundgetan worden, dass man sich über Beflaggung der Häuserfassaden und "Bekundungen" entlang der Walserstraße freuen würde.

Zumindest Interesse bekundeten die Kleinwalsertaler dann tatsächlich. Kurz' Bitten, doch den Abstand einzuhalten, wurden zunächst nur mit einem Lachen bedacht. Lieber wurde eifrig fotografiert. Das Kanzleramt versuchte später den politischen Schaden zu minimieren, indem man in einer schriftlichen Stellungnahme für künftige Ereignisse dieser Art bat: "Egal ob man den Bundeskanzler oder Freunde auf der Straße trifft: Der Abstand ist einzuhalten."

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bemerkte spitz, dass sie Personenkult ablehne. Gleichzeitig kündigte sie zwei parlamentarische Anfragen zu den Szenen im Kleinwalsertal an. "Da wurden einige Regeln übertreten." FPÖ-Klubchef Herbert Kickl wiederum nannte Kurz in Anspielung auf frühere Warnungen der Regierung bezüglich Abstandhalten einen "Lebensgefährder" - noch dazu, wo in der Menge viele ältere Menschen gewesen seien.

Selbst von den Grünen kam eine mahnende Stimme, freilich von den - allerdings auch mit der ÖVP in einer Koalition befindlichen - Vorarlbergern. Ihre stellvertretende Klubofrau Eva Hammerer hielt fest: "Egal ob hohe Amtsträger oder Jugendliche im öffentlichen Raum - es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden."

(APA/red/schluss)

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