Am Kern der Sache vorbei kritisieren Oppositionsparteien die jüngste Corona-Verordnung aus dem Gesundheitsministerium, die am Sonntag in Kraft tritt und eine Reihe von Verschärfungen mit sich bringt. Noch immer geht es um das Vermeiden eines Gesundheitsnotstandes, wenn sich zu viele Leute gleichzeitig anstecken, krank werden, ins Spital müssen und eine Intensivbehandlung benötigen. Der im Frühsommer angekündigte heiße Herbst war mehr als nur eine prophetische Eingebung. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wirft der türkis-grünen Bundesregierung angesichts des langen Wartens auf die jüngste Corona-Verordnung "Showpolitik" vor. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl ortet ein "Verordnungs- und Ampelchaos". Für die Neos funktioniert weder die Corona-Ampel noch die Teststrategie. Für die Grünen und ÖVP ist die Kritik belanglos: Die Regierung macht Weltpolitik und die heimische Opposition soll ihren Job machen. "Showkritik" und "Showpolitik" gehen Hand in Hand.
Das nächste Mal solle die Regierung zeitgleich mit ihrer Pressekonferenz auch den entsprechenden Verordnungstext auf den Tisch legen, forderte Rendi-Wagner am Freitag. Sie habe vergangenen Montag "völlig unvorbereitet" neue Maßnahmen vorgestellt, und dann vier Tage gebraucht, bis man eine rechtliche Basis dafür vorlegt, erinnerte die Parteichefin der SPÖ. Die neue Verordnung war Donnerstagabend veröffentlicht worden. Ihr Inkrafttreten wurde auf Sonntag verschoben. Für Rendi-Wagner setzt sich damit das "Chaos" der letzten Wochen fort. Mit "Showpolitik" bewältige man die Krise nicht, betonte sie.
FPÖ-Klubobmann Kickl attestiert der Regierung Verantwortungslosigkeit in Reinkultur. Man habe einen Staatsnotstand provoziert. "Alle Bürger, Arbeitnehmer, Unternehmer, Familien, Lehrer und Schüler und - jetzt ganz aktuell - die Friedhofsbesucher zu Allerheiligen werden durch ein Normenwirrwarr verunsichert", ärgerte sich Kickl: "Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Regierung den Österreichern auch Weihnachten verbieten wird - das gabs nicht einmal in Kriegszeiten."
Für die Neos ortete Gesundheitssprecher Gerald Loacker nach der "Blamage um die Corona-Verordnung" vom Donnerstag nun weitere Fragezeichen durch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Auch die diese Woche präsentierte Teststrategie ist für Loacker mangelhaft. Antigen-Schnelltests ausschließlich in Arztordinationen seien völlig unpraktikabel und gingen am Ziel einer sinnvollen Containmentstrategie vorbei.
In der Nacht auf Sonntag tritt die neue Verordnung mit zusätzlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Kraft. Veröffentlicht wurde sie am späten Donnerstagabend, somit gibt es "ausreichend Vorbereitungszeit", sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag. Für ihn sei es wichtig, dass die Maßnahmen wirken, "nicht wann sie publiziert werden". Ob ein Tag früher oder später sei "nicht entscheidend".
Am Montag sei der erste Entwurf fertig gewesen. Dieser wurde dann per Mail an die ÖVP-Bundesländer geschickt, was auch für Kritik sorgte. Es habe sich gezeigt, dass einige Fragen offen sind, berichtete Anschober, deshalb habe man auch den Verfassungsdienst sowie "externe Juristen" einbezogen. Denn von den Verordnungen seien "Millionen von Menschen betroffen", deshalb müsse man präzise arbeiten.
Dass nur die sechs ÖVP-Bundesländer den Entwurf erhalten haben, sorgte für Unmut. Anschober konstatierte am Freitag, dass die Bundesländer in der Pandemie so intensiv eingebunden seien wie nie zuvor. Dazu gebe es den Koordinationsprozess in der Koalition. Wer hier beigezogen wird, dies bleibe dem Koalitionspartner überlassen. Für Anschober ist es nachvollziehbar, dass die ÖVP fachliche Justierungen nicht mit SPÖ-Politikern abstimmt. Ihm selbst sei "Parteipolitik gleichgültig", sagte Anschober, im Gesundheitsministerium werde nicht auf die Parteifarbe geachtet.
Der Wiener Rechtsanwalt Florian Horn kritisierte die Verordnung. Bei dieser bestünden aus seiner Sicht "immer noch Probleme", meinte er im Ö1-"Mittagsjournal". Etwa fehle der Regelung zu Personen-Obergrenzen bei Treffen und kleinen Events abseits der eigenen vier Wände die Rechtsgrundlage.
Die Bestimmung, wonach die Anzahl auf sechs Personen in Innenräumen und zwölf Personen im Freien beschränkt ist, stütze sich nämlich nicht auf das Covid-Maßnahmengesetz sondern auf das Epidemiegesetz. Und dort sei in den Bestimmungen zu den Veranstaltungen bloß zu finden, dass "nur das Zusammenströmen größerer Menschenmenge" reguliert werden könne, so Horn: "Und zehn Personen oder zwölf Personen oder sechs Personen sind ganz sicher keine größere Menschenmenge."
Es "räche" sich, dass es nicht wirklich eine Begutachtung gegeben habe. Hätte man sich dazu entschieden, den Entwurf vorab zu veröffentlichen und zur Diskussion zu stellen, dann wäre die "Qualität der Verordnung besser", argumentierte der Rechtsanwalt und beklagte die "mangelnde Transparenz".
(APA/red)
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