Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) versucht die Skeptiker der Corona-Ampel zu beruhigen und betont, dass eine Gelb-Schaltung keine Schuldzuweisung sei. Zuvor hatte der Bürgermeister von Linz einige treffende Argumente angeführt, warum die Auswahl auf seine Stadt nicht nachvollziehbar sei. Auch der Wiener Gesunheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) vermutet ideologische Gründe. Bezugnehmend auf die Gelb-Schaltung in der Bundeshauptstadt meinte Hacker, die Schaltung von Wien auf Gelb sei wahrscheinlich dem Wahlkampf geschuldet.
Kanzler Kurz hofft auf Verständnis für die schwierige Situation der von "Gelb" betroffenen Städte und Bezirke, die ja nicht ohne Grund ausgewählt wurden. Immerhin kann rund zwei Drittel der Bevölkerung weiterhin frei durchatmen. In den ländlichen Regionen herrscht sowieso Disziplin. Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) rief dazu auf, "Streitereien" im Bezug auf die Corona-Ampel einzustellen.
Die gesetzliche Möglichkeit zur Ausweitung des Mund-Nasen-Schutz hätten bereits gestern Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Rechtsexperten bestätigt. Die Änderungen bei Veranstaltungen könnten über eine Weisung des Gesundheitsministers an die Länder geregelt werden.
Es sei vernünftig, die Ampel als das zu sehen, was sie sei, so Kurz: "Ein Präventionsinstrument und keine Schuldzuweisung." Kurz betont den Zugang der Bundesregierung: "Es braucht neben bundesweiten Maßnahmen und Empfehlungen speziell dort, wo das Risiko größer ist, verschärfte Maßnahmen." Das bedeute im Umkehrschluss, dass die Menschen nur dort, wo es notwendig sei, zu schärferen Maßnahmen verpflichtet werden.
Anschober betonte, dass man es nur gemeinsam schaffen werde können, Österreich weiter gut durch die Pandemie zu bringen. Auch warb er dafür, die bei "Gelb" vorgesehenen Verschärfungen freiwillig bald umzusetzen. Laut Anschober wird bis spätestens Freitag die Ausweitung des Mund-Nasen-Schutze auf den gesamten Handel rechtsverbindlich umgesetzt. Dies sollte aber möglichst bald freiwillig gelebt werden, appellierte der Minister.
Gerade in den kommenden Monaten der kälteren Jahreszeit und jahreszeitbedingten Infektionen werde die Herausforderung steigen: "Die Corona-Ampel wird uns dabei unterstützen", glaubt Anschober. Die Schaltung habe am Freitag zum Auftakt gut funktioniert, die Durchführung einer virologischen Gesamtbewertung sei absolut richtig.
Die Ampel sei aber kein statisches Projekt. Vor allem Pendlerströme und Tourismuseffekte würden in die Bewertung schrittweise noch stärker eingebaut. Bereits kommende Woche werde die virologische Lage in ganz Österreich neuerlich gesamthaft untersucht.
Kommentar: Die Kraftprobe zwischen Wien und Bund nimmt einen vorhergesagten Lauf. Was sich die Regierungsparteien davon versprechen, ist die große Unbekannte. Kurz möchte offenbar die Wien-Wahl zu einer Abstimmung über seine Corona-Politik machen. Jetzt wird Phase vier getestet und unverblümt mitgeteilt, dass die Ziehharmonika ihr Spiel bis 2021 fortsetzt.
Kein Mensch mit Verstand leugnet Corona, aber viele die vorhergesagte Sterblichkeit. Jegliche Skepsis und Kritik gegenüber der Corona-Politik wird momentan mit einer rechtsextremen Einstellung gleich gestellt oder einer Alu-Hut-Gesinnung. Die Grünen haben im Parlament gezeigt, wie man die Faschismuskeule schwingt, und möchte als hehrer Lebensretter mit humanistischem Leitgedanken wahrgenommen werden.
Das gegeneinander Ausspielen treibt Hochblüte: Stadt gegen Land, Wahlberechtigte gegen Stimmenlose, gebildete Bürger gegen einfaches Volk, Ausländer gegen Staatsbürger. Trotzdem lässt man Pflegekräfte, Saisonarbeiter und Erntehelfer ohne Test und Quarantäne ins Land, winkt Deutsche durch die Grenzen und junge Österreicher mit einschlägigem Profil zur Seite. Zwei Wochen Quarantäne für zwei Wochen Partyspaß klingt gerecht in vielen Ohren.
Während eine Pilgerreise nach Jerusalem immer gefragt sein wird, könnte das Verlangen nach Mund-Nasen-Schutz-Kultur in Albertina und Co. dramatisch einbrechen, wenn es nicht gelingt, die alte Normalität wieder rechtzeitig einzuführen. Die Kunst- und Kulturschätze Österreichs sind viel Wert, jedoch im verhüllten Zustand und mit ständigen Schuldgefühlen begleitet, kann die Tourismuswirtschaft an solchen Orten nicht florieren.
Meinung: Wien wird's überleben. Die Wahl im Oktober wird lediglich zeigen, ob das Ziehharmonika-Projekt den erhofften Effekt hat, den sich der Kanzler wünscht: Dass alle gesund bleiben, koste es was es wolle.
(APA/red)
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