Geringere Lebenserwartung ergibt höhere Übersterblichkeit
Die Corona-Pandemie hat im Vorjahr zu einem deutlichen Anstieg der Todesfälle geführt. Wie die Statistik Austria am Donnerstag mitgeteilt hat, sind 2020 zumindest 90.123 Menschen in Österreich gestorben - um fast elf Prozent mehr als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Es handelt sich allerdings um eine vorläufige Zahl, die durch Nachmeldungen aus den Standesämtern noch steigen dürfte. Außerdem sei die Lebenserwartung gegenüber 2019 um ein halbes Jahr gesunken. Dieser einberechnete mathematische Faktor macht die prognostizierte höhere "Übersterblichkeit" im Jahr 2020 plausibel.
- ~ 9.913 mehr Tote als üblich
- ~ 6.826 Tote aufgrund Covid-19
Zahlenspiel mit Lebenserwartung
Für Männer liegt die Lebenserwartung nun bei 78,9 und für Frauen bei 83,7 Jahren. "Mit einer starken Verbreitung der Impfungen und nach Bewältigung der Pandemie ist anzunehmen, dass die Lebenserwartung mittelfristig wieder auf den Wachstumstrend einschwenken wird. Ähnliches zeigen die Erfahrungen aus stärkeren Grippejahren. Offen sind allerdings noch die möglichen Langfristfolgen überstandener Coronaerkrankungen", sagte Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas in einer Aussendung.
Hotspot Pflegeheime
Bis zum 22. Juni 2020 verstarben in Summe 260 Bewohnerinnen und Bewohner in Alters- Pflegeheimen an Corona, dies entspricht einem Anteil von rund 36,8 Prozent an allen bis zu diesem Zeitpunkt verstorbenen Covid-19-Fällen in Österreich. Aktuell soll der Anteil bei rund 40 Prozent liegen, also weiterhin außergewöhnlich hoch im Vergleich zu vergleichbaren Ländern in Europa.
Trügerische Jahresabrechnung
Ein langfristiger Vergleich der Todesfalldaten ist schwierig, weil sich die Einwohnerzahl und die Altersstruktur der Bevölkerung über die Jahre verändern. Gemessen an den durchschnittlichen Sterbefällen der Jahre 2015 bis 2019 gab es ab Ende Oktober des Vorjahres allerdings eine deutliche "Übersterblichkeit". In diesen Wochen starben um bis zu 60 Prozent mehr Menschen. Zuletzt ist die Übersterblichkeit wieder etwas gesunken und war wieder etwas niedriger als zu den Spitzen der starken Grippewelle 2017: In der Woche vom 21. bis zum 27. Dezember starben 2.114 Personen - um 22 Prozent mehr als in den Vorjahren. In der Woche danach waren es 1.964 Sterbefälle - um 28 Prozent mehr als im Jahr 2015, in dem es zuletzt eine 53. Kalenderwoche gab.
Informationen zur Methodik:
Statistik Austria verarbeitet alle von den Personenstandsbehörden gelieferten Sterbefälle von Personen mit Hauptwohnsitz in Österreich. Innerhalb der geplanten Veröffentlichungsfrist stehen Statistik Austria jedoch noch nicht alle Sterbefälle zur Verfügung. Daher werden die zu erwartenden Sterbefälle der jeweils aktuellsten zwei Wochen geschätzt.
Höhere Übersterblichkeit ab November
Auch das europäische Mortalitätsmonitoring Euromomo weist für Österreich seit Anfang November eine hohe bzw. sehr hohe Übersterblichkeit aus. Damit unterscheidet sich die zweite Infektionswelle im Herbst deutlich von der ersten im Frühjahr. Damals hatte Euromomo für Österreich nur eine leichte Übersterblichkeit festgestellt.
AGES Zahlen
Laut Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) sind seit dem Ausbruch der Pandemie 6.826 Menschen in Österreich entweder direkt an den Folgen einer Covid-Erkrankung oder nach einer Covid-Infektion gestorben, davon 6.312 im Jahr 2020. Gemessen an der Einwohnerzahl am stärksten betroffen ist die Steiermark mit 118 Corona-Toten pro 100.000 Einwohner, danach kommen Kärnten (97) und Oberösterreich (83). Am geringsten ist der Anteil in Niederösterreich und Vorarlberg mit je 59 Corona-Toten pro 100.000 Einwohner.
Rückgang der Lebenserwartung
Die Corona-Pandemie hat den stärksten Rückgang der Lebenserwartung seit Beginn der Aufzeichnungen 1951 ausgelöst. Die Lebenserwartung gibt an, wie lange ein neugeborenes Kind bei gleichbleibenden Sterberaten leben würde. Für Männer liegt sie nun bei 78,9 und für Frauen bei 83,7 Jahren. Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas geht aber davon aus, dass die Lebenserwartung nach der Bewältigung der Pandemie mittelfristig wieder auf den üblichen Wachstumstrend einschwenken wird. "Ähnliches zeigen die Erfahrungen aus stärkeren Grippejahren. Offen sind allerdings noch die möglichen Langfristfolgen überstandener Coronaerkrankungen", sagte Thomas in einer Aussendung.
Halbes Jahr großzügig kalkuliert
Freilich ist der für 2020 errechnete Knick deutlich größer als selbst in sehr starken Grippejahren üblich. Bei Frauen beträgt das Minus 0,5 und bei Männern 0,6 Jahre. Zum Vergleich: 2015 - auch damals gab es eine starke Grippewelle - lag der für Männer errechnete Rückgang bei 0,3 Jahren und für Frauen bei 0,1. Damit ist die Lebenserwartung, die normalerweise jedes Jahr leicht ansteigt, im Vorjahr so stark gesunken wie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1951 nicht. Den bis dato stärksten Knick hatte es 1957 gegeben, als die errechnete Lebenserwartung der Männer um ein halbes Jahr sank.
So stimmt die Rechnung
Dieser deutliche Rückgang der Lebenserwartung spricht auch gegen die in der Corona-Debatte immer wieder gehörten Behauptung, der Erkrankung würden großteils Menschen zum Opfer fallen, die auch ohne die Pandemie gestorben wären. Dies gilt auch für die Todesfallstatistik: Ähnlich viele Todesfälle wie im Vorjahr gab es in Österreich zuletzt 1983. Damals starben 93.041 Menschen.
(APA/red)