Vize-Bürgermeisterin findet keinen Platz am Papier
Nur Stunden nach der Ankündigung der Wiener SPÖ, mit den Neos in Koalitionsgespräche einzutreten, sind am späteren Dienstagnachmittag die Verhandlungen offiziell gestartet. Um 17.00 Uhr trafen sich je drei Vertreter der beiden Parteien - an der Spitze SPÖ-Wien-Chef und Bürgermeister Michael Ludwig sowie der pinke Klubobmann Christoph Wiederkehr - im Büro des Stadtchefs im Rathaus. Derweil klammert sich Noch-Vizebürgermeisterin und grüne Parteichefin Birgit Hebein an der Hoffnung, dass die Gespräche scheitern mögen. Es passe kein Blatt Papier zwischen Grüne und SPÖ, wenn es um den Abbau von Spitalsbetten geht, sagt Hebein auf die Entscheidung des Bürgermeisters hin.
SPÖ und Neos beginnen Verhandlungen
Das Go zur Aufnahme von Verhandlungen mit den Pinken gaben am Vormittag das Wiener SPÖ-Präsidium einstimmig und der Erweiterte Vorstand, wo es zwei Gegenstimmen gab. Bürgermeister und SPÖ-Landesparteivorsitzender Michael Ludwig erklärte im Anschluss an die Sitzungen, dass man sich für einen "mutigen neuen Weg" entschieden habe und "wir die Tür öffnen wollen für eine Fortschrittskoalition".
Auf der Seite der SPÖ nahmen neben Ludwig noch Klubobmann Josef Taucher und Landesparteisekretärin Barbara Novak teil. Wiederkehr wurde von der stellvertretenden Klubchefin Bettina Emmerling und Neos-Landesgeschäftsführer Philipp Kern begleitet. Anders als beim Sondierungsgespräch wurden diesmal übrigens keine Punschkrapferl kredenzt. Lediglich Wasser war am Besprechungstisch zu sehen.
Zusammenarbeit vor Ende
Er werfe Rot-Grün keine Steine nach, beteuerte Ludwig: "Vieles ist gelungen, aber es scheint uns jetzt die Zeit reif zu sein, etwas Neues zu versuchen." Wiewohl der Stadtchef auf ein damit verbundenes Risiko hinwies, haben doch die Neos mit Ausnahme einer türkis-grün-pinken Allianz in Salzburg keine Regierungserfahrung. Und Ludwig wollte ein Scheitern der Koalitionsgespräche freilich nicht ausschließen: "Falls sich zeigen sollte, dass die vertiefenden Gespräche nicht das halten sollten, was in der Sondierung angesprochen worden ist, gibt es erfreulicherweise für die SPÖ andere Optionen."
Grüne Türen stehen offen
Darin besteht die letzte Hoffnung für die Noch-Vizebürgermeisterin und grüne Parteichefin Birgit Hebein. "Wir bleiben dabei, für uns Grüne stehen die Türen offen", sagte sie in einer Pressekonferenz nach Ludwigs Entscheidung. Die Nachricht über den Verhandlungsstart mit den Neos sei "keine erfreuliche", zeigte sie sich merkbar zerknirscht.
Kein gutes Blatt für Hebein
Thematisch ganz kompatibel sieht Hebein die Neos mit der SPÖ jedenfalls nicht. So fragte sie sich offen, ob Ludwig mit der liberalen Partei nun darüber streiten wolle, ob - gerade mitten in der Coronakrise - Spitalsbetten abgebaut werden sollten. In diesem Punkt passe kein Blatt Papier zwischen Rot und Grün. Zwischen den Stadt-Roten und den Neos allerdings "liegen ganze Papierfabriken", befand die Vizebürgermeisterin.
Neos-Chef Christoph Wiederkehr freute sich freilich über die Entscheidung der Roten und sprach von einem "historischen Tag" für seine Partei. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Gespräche zu einem positiven Abschluss kommen werden, schließlich habe man in den Sondierungen bereits gesehen, dass gute Kompromisse möglich sein werden. Wiederkehr wünscht sich jedenfalls einen "großen Wurf" im Bildungsbereich.
Bildungsstadtrat an Neos so gut wie fix
Auf die Frage, ob die SPÖ den Bildungsstadtrat an die Neos abtreten werden, hielt sich Ludwig freilich bedeckt, signalisierte aber Bereitschaft für ein diesbezügliches Entgegenkommen: "Das wird Verhandlungssache sein. Aber man muss dem Koalitionspartner zugestehen, dass er in einem Bereich Verantwortung übernehmen kann, der ihm wichtig ist."
Den Neos stünde in der künftigen Regierung gemäß Wahlergebnis ein Stadtrat zu, die SPÖ bliebe bei ihren sechs. Ludwig betonte, dass er an der Größe des Stadtsenats nichts ändern wolle und gerne mit seinem jetzigen Team weiterarbeiten würde. Etwaigen Privatisierungswünschen der Pinken erteilte der SPÖ-Landeschef indes vorbeugend eine Abfuhr.
Bei Gesundheit und Bildung auf einer Linie
Ludwig bekräftigte sein Bestreben, dass die Regierung bis Mitte November unter Dach und Fach sein soll - und er gab sich generell zuversichtlich über einen positiven Ausgang für Rot-Pink. In gesellschaftspolitischen Fragen sei man in der Sondierungsrunde sehr schnell auf einen gemeinsamen Nenner gekommen, in wirtschaftspolitischen Fragen werde man sich einigen können, meinte er.
Reaktionen von ÖVP und FPÖ
ÖVP und Neos reagierten gelassen bis hämisch. "Wir haben im Sondierungsgespräch festgestellt, dass die SPÖ Wien in wesentlichen Bereichen keinen Willen zur Veränderung aufweist und es keine Bewegung bei den relevanten Themen für Wien gibt", hieß es in einer Aussendung der Türkisen, die laut eigenen Angaben wenig überrascht von der Entscheidung der SPÖ waren. Für FPÖ-Chef Dominik Nepp haben die Neos "das Anbiederungsmatch vorerst gewonnen". Es sei peinlich, wie sich ÖVP, Grüne und Neos dem Bürgermeister an den Hals geworfen hätten, "um als Anhängsel seine Mehrheit absichern zu dürfen", fügte er hinzu.
(APA/red)