Künstler wie Michelangelo sind schuld daran, dass Torsi bedeutende Kunstwerke sind. Als Christian Ludwig Attersee noch ein junger Mann war, verstand er sie nicht. Abgeschlagene Hände, Füße und Köpfe. Die Ästhetik dieser Schönheit erschloss sich dem Künstler erst später. Attersee feiert heuer seinen 80. Geburtstag. Und der Torso beschäftigt ihn noch heute. Für die Außenwand der MMC Studios in Liesing erweckte er das Motiv aus der Renaissance.
Ein Monat lang hängt "Torso" im XXL-Format an der Außenwand in der Walter-Jurmann-Gasse. In kleinerem Maßstab ist das Bild ein Geschenk an Studioboss Purzl Klingohr, dem Ideengeber der Aktion. Seit März schmücken abwechselnd anerkannte Künstler eine kaum beachtete 200m² große Fläche am Stadtrand Wiens. Klingohr möchte mit der Initiative den Dialog zwischen Publikum und Kunst im öffentlichen Raum fördern. Zum Geburtstag schenkte er Attersee eine monumentale Ausstellungsfläche.
Der Torso von Attersee ist liegend gemalt, was der üblichen Betrachtungsweise schon mal widerspricht. Das Ei als Kopfersatz beschreibt seinen Zugang zur Ästhetik von Torsi. Mit dem Ei, das den Beginn des Lebens symbolisiert, gibt er dem malträtierten Wesen seine Menschlichkeit zurück. Attersee wollte zeigen, dass ein Torso in diesem Zustand noch ein Mensch sein kann. "Ich frage mich heute noch immer: Warum gelten diese verstümmelten Körperskulpturen als ein so hoch angesehener Bereich der Bildhauerei?“, so Attersee.
Bei der Enthüllung seines Kunstwerks am Studiogelände der Interspot fehlte der Gastgeber aufgrund einer Grippe. Der Rest der Familie Klingohr wohnte der Vernissage bei. Wie bei den vorangegangenen Enthüllungen fand diese unter konzilianten Covid-19-Regeln statt und mit nur wenigen geladenen Gästen. Zum Geburtstag bekam Christian L. Attersee eine riesige Torte, die von der Konditorei Sacher spendiert wurde. Angeschnitten wird der Kuchen aber erst, wenn Purzl Klingohr wieder auf den Beinen ist, und ein Stück mitessen kann.
Nikolaus C. Klingohr sieht in der Arbeit von Attersee Motto und Zweck der Idee erfüllt. Wo sonst, als im öffentlichen Raum, soll Kunst aufrütteln, zum Nachdenken anregen und auch einmal verstören. Wer einen Blick zur Seite wirft, und den Torso betrachtet, kann sich vieles denken, aber nicht gedankenlos daran vorbei gehen. "Kunst bietet den idealen Gesprächsstoff unter Menschen ganz verschiedener Herkunft und Bildung. Das Reden über Kunst - auch abweichender Auffassung darüber, was gefällt - ist liberal. Somit ist jede Kunstausstellung das Fundament einer offenen Gesellschaft", so Klingohr bei der Enthüllung.
Um mehr Farbe auf die graue Studiomauer zu bringen, hat das MMC Haus junge und aufstrebende Künstler dazu aufgerufen, ihre Skizzen und Werke einzureichen. Der in Wien lebende Steirer Christian Eisenberger wurde als erster Kulturschaffende ausgewählt. Danach folgten Florian Köhler und Olaf Osten, der eine schwarze Krähe an die Wand zeichnete. Attersee ist Mitglied der Jury. An seinem 80. Geburtstag wurde ihm die Ehre zuteil, auch einen Monat lang für Staunen im Grätzl sorgen zu dürfen.
Genügend Gesprächsstoff hatten unter anderem Landtagsabgeordneter Marcus Schober, Bezirksvorsteher Gerald Bischof, Christine Pennersdorfer (Land NÖ), Peter Coeln (Galerist), Christian Brandstätter (Verleger), Gexi Toastmann (Tostmann Trachten), Maria Rauch-Kallat, Klaus Hundsbichler (Regisseur), Alexandra Graski-Hoffmann (ART Vienna), Annette Tesarek (Fotografin), Elisabeth Foissner (Belvedere), Mario Reichel (Blitzblank), Johannes Rath (Lobmeyer), Manuel Gras (Red Carpet Art Award) sowie Ingrid und Nils Klingohr.
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