Alf Poier und die Cancel Culture – Ein Kapitel in Schwarz

Alf Poier war vieles: Kabarettist, Musiker, Maler. Ein Außenseiter, der die Bühnen bespielte, die Bildende Kunst für sich entdeckte und mit seiner eigenwilligen Mischung aus Dada und scharfer Gesellschaftsbeobachtung Erfolge feierte. Vom Eurovision Song Contest über ausverkaufte Tourneen bis hin zu Ausstellungen in renommierten Galerien – sein Weg war nie geradlinig, aber immer konsequent. Nun scheint er an einem Punkt angekommen zu sein, an dem er nicht mehr um Aufmerksamkeit kämpft, sondern sich selbst aus dem Spiel nimmt. Zumindest will er uns das weismachen.

Alf Poier in Schwarz getränkt in der Galerie Kaiblinger in Wien.

Alf Poier in Schwarz getränkt. | © Katharina Schiffl

In der Galerie Kaiblinger in Wien präsentiert Alf Poier sein neues Buch „Bunt geschwärztes Bilderbuch“. Doch anstatt zu sprechen, übergießt er sich mit schwarzer Farbe. Selbstcancelung. Keine Ankündigung, keine Erklärung. Der Künstler, in Schwarz getränkt, steht in einer Plastikmuschel, die an Botticellis Geburt der Venus erinnert. Wer ihn kennt, wundert sich nicht. Es ist ein bewusstes Zeichen, ein stiller Kommentar zur Debatte über Kunst und Anpassung.

Während die Farbe an ihm herabläuft, spricht Poier von der Arte ingrata, einer Kunst, die sich nicht länger der politischen Korrektheit beugen will. „Selbstcancelung statt Fremdcancelung“, ruft er – eine Parole, die sich wie ein roter Faden durch die Performance zieht. Er wechselt zwischen Ernst und Dadaismus, skandiert absurde Reime und verweist auf die Dadaisten als Vorläufer seines künstlerischen Ansatzes.

  • Alf Poier Art Performance in der Galerie Kaiblinger in Wien.
    Alf Poier Art Performance.

Am Schluss schüttet sich Poier die letzten Tropfen Farbe ins Gesicht und sagt Dankeschön. Dann tritt er aus der Muschel, lacht, posiert mit Galerist Siegfried Kaiblinger und Maria Seifert (Verlegerin) für ein Foto. Sein neues Buch liegt zum Kauf auf, die Bilder hängen an den Wänden. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. März 2025. Das Video zur Performance gibt es hier:

Interview mit Alf Poier

Wie denkt Poier über die aktuellen Entwicklungen in Kunst und Gesellschaft? Wie steht er zur Cancel Culture und wo sieht er sich selbst in der Debatte? Ein Gespräch über Kunst und Kritik.

keymedia:
Inwieweit warst du von Cancel Culture betroffen?

Alf Poier:
Ich war schon öfter davon betroffen. Manchmal wird es einem verschwiegen, weil die Leute nicht den Mut haben, es zu sagen. Aber es gibt auch schriftliche Absagen, wo ich schwarz auf weiß habe, dass es so ist.

keymedia:
Jetzt wird man ja aus den unterschiedlichsten Gründen gecancelt. Der Begriff entstand während der Corona-Zeit, als viele Künstler, die sich auch nur annähernd kritisch äußerten, nicht mehr auftreten durften. Verstehst du das als Cancel Culture, oder ist das für dich ein weitläufigerer Begriff?

Alf Poier:
Ich will die Corona-Zeit nicht unbedingt einordnen, vielleicht teilweise schon. Aber Cancel Culture ist für mich eher das Umschreiben von Büchern, das Umbenennen von Produkten oder Kunstwerken. In Schweden wurden 10.000 Vogelnamen überprüft und umbenannt, in Deutschland über 1.000.* Die Frage ist: Wie weit geht man? Wann hört das Ganze auf? Wir können nicht immer nur in die Vergangenheit schauen. Autofahren funktioniert nur, wenn man durch die Windschutzscheibe schaut – nicht nur in den Rückspiegel.

keymedia:
Aber geht es für dich dabei nur um Begriffe, oder betrifft es auch Künstler, die eine abweichende politische Meinung äußern und deshalb nicht mehr auftreten können?

Alf Poier:
Das spielt natürlich auch eine Rolle. Ich beschäftige mich in meinen Bildern oft mit anderen Themen, aber auch das ist ein Bereich, in dem Cancel Culture wirkt. Man sagt dann nicht offen: „Du darfst nicht auftreten“, sondern es heißt einfach: „Das Programm gefällt uns nicht“ oder „Wir sind ausgebucht.“ Veranstalter können sich so leicht aus der Verantwortung ziehen.

keymedia:
Welche Gründe würdest du als verwerflich ansehen, um einem Künstler eine Absage zu erteilen?

Alf Poier:
Das musst du die Veranstalter fragen. Aber es gab offensichtlich Aussagen von mir, die ausgereicht haben, um mich von gewissen Veranstaltungen fernzuhalten. Vor ein paar Wochen wurde eine große Ausstellung abgesagt – aber das berührt mich nicht. Ich muss nicht ausstellen, ich muss nicht auftreten.

keymedia:
Aber es gibt doch bestimmt einen gemeinsamen Nenner, warum Künstler wie du plötzlich Absagen erhalten. Wo ist der rote Faden?

Alf Poier:
Es hat mit Kulturförderung und politischer Steuerung zu tun. Ich kenne hervorragende Künstler, die nie eine Förderung bekommen haben und auch nie eine bekommen werden. Stattdessen fließt das Geld in Themen wie Gender- und Identitätspolitik. Viele Künstler vertreten diese Themen nicht aus Überzeugung, sondern weil sie wissen, dass es dafür Förderungen gibt. Dieser Opportunismus tut der Kunstszene und der Gesellschaft insgesamt nicht gut.

keymedia:
Aber du bist ja bereits etabliert. Du hattest große Ausstellungen, bist als Name bekannt. Ist deine Situation nicht anders als die von jungen Künstlern?

Alf Poier:
Natürlich. Ich bin heute in einer anderen Position. Aber ich war am Anfang meiner Karriere auch nicht anders. Ich habe bewusst darauf geachtet, dass Gagen fair abgerechnet wurden. Ich wollte nie überbezahlt werden. Ich kenne junge Künstler, die sagen: „Ich brauche eine Förderung, ohne geht es nicht.“ Aber ich will das nicht. Mir wurden zum Beispiel einmal 10.000 Euro angeboten, um mich mit einem Politiker fotografieren zu lassen – ich habe abgelehnt.

keymedia:
Du hast jetzt mehrmals die Politik angesprochen. Was würdest du dir von einer neuen Kulturpolitik wünschen?

Alf Poier:
Ich wünsche mir, dass die Vielfalt, von der immer gesprochen wird, auch tatsächlich existiert. Aber ich sehe sie nicht. Es gibt eine Einheitsmeinung, und wer davon abweicht, steht außerhalb des Kreises. Künstlergemeinschaften treten mit kollektiven Forderungen auf, aber sie repräsentieren nicht alle Künstler – mich zum Beispiel nicht.

keymedia:
Lass uns über deine Performance sprechen. Du hast mit ihr versucht, viele dieser Punkte in einem kurzen Moment sichtbar zu machen. Kannst du die Symbolik dahinter erklären?

Alf Poier:
Ja. Ich habe zuerst das „Zeitalter der politischen Überkorrektur“ ausgerufen, das den Witz getötet hat. Gleichzeitig habe ich damit aber auch die „Geburtsstunde der Arte ingrata“ eingeläutet – einer Kunst, die sich nicht dem überkorrekten Diktat der etablierten Szene unterwirft. Dafür habe ich eine Performance inszeniert, bei der ich mich in einer weißen Jakobsmuschel befand und mich selbst überschüttet habe.

keymedia:
Das erinnert an das berühmte Gemälde von Botticelli, oder?

Alf Poier:
Ja, genau. Botticellis „Die Geburt der Venus“ war eine Inspiration. In gewisser Weise war meine Performance eine moderne Interpretation davon.

keymedia:
Zum Abschluss: Was wünschst du dir für deine Zukunft?

Alf Poier:
Ich bin seit vier Jahren nicht mehr aufgetreten, meine letzte Show war nach Corona. Es ist schwieriger geworden, Dinge beim Namen zu nennen – selbst im Kabarett. Es gibt immer mehr Einschränkungen, immer mehr Diskussionen mit Anwälten. Ich habe genug Material für drei Kabarettprogramme, aber mein Körper will nicht mehr. Ich will ein einfaches Leben, wahrscheinlich in Thailand. Luxus interessiert mich nicht.

keymedia:
Heißt das, dass eine Rückkehr auf die Bühne ausgeschlossen ist?

Alf Poier:
Nein, aber momentan ist es nicht geplant. Ich sehe, dass sich auch andere Kabarettisten darüber beklagen, dass Programme vorab durch Fachleute geprüft werden müssen. Ich bin da ganz bei Thomas Gottschalk, der gesagt hat: „Wenn ich nicht mehr so sprechen kann wie zu Hause in der Küche, dann höre ich auf.“ Und genau so geht’s mir auch.

keymedia:
Danke für das Gespräch!


Fußnote:

Die Aussagen zur Umbenennung von Vogelnamen in Schweden und Deutschland haben folgenden Ursprung: Laut Süddeutsche Zeitung (2015) wurden in Schweden etwa 10.000 Vogelnamen überprüft, wobei zehn als problematisch eingestuft und geändert wurden. In Deutschland hingegen berichtete GEO (2023), dass über 1.000 Vogelnamen überprüft wurden, wobei ebenfalls nur wenige tatsächlich umbenannt wurden.

Organisationen wie der Schwedische Ornithologische Verband und die Deutsche Namenskommission für Vögel führten diese Umbenennungen mit der Begründung durch, dass bestimmte Begriffe rassistische, koloniale oder diskriminierende Konnotationen tragen. Ein Beispiel ist die frühere “Hottentottenente”, deren Name als abwertend für das indigene Volk der Khoikhoi in Südafrika galt und daher geändert wurde.

(PA/key)