Auftragsoper verortet “Animal Farm” in ein Schlachthaus

George Orwells Buch "Animal Farm" wird oft als eine politische Fabel klassifiziert. Aufgrund seiner politischen Botschaften und seiner Kritik an totalitären Regimen wurde es von demokratisch geprägten Bildungssystemen zweitweise als Pflichtliteratur vermittelt. Seither dient die fabelhafte Novelle vielen Künstlern und Aktivisten als eine politische Allegorie, um auf Missstände von Machtmissbrauch, Unterdrückung und Korruption hinzuweisen. Eine moralische Lehre möchte auch die von Alexander Raskatov komponierte und von Regisseur Damiano Michieletto inszenierte Oper basierend auf George Orwells "Animal Farm" verbreiten. Das im Auftrag der Wiener Staatsoper und anderer europäischer Theaterhäuser entstandene Stück feierte im März 2023 Uraufführung in Amsterdam und kommt nun an die Wiener Staatsoper.

Alexander Raskatov ist Komponist und Mitgestalter der Oper "Animal Farm".

Alexander Raskatov ist Komponist und Mitgestalter der Oper "Animal Farm". | © Victoria Nazarova

Auftragswerk am Wunschzettel

Der Angriffskrieg Russlands hat neues Interesse an der Fabel von George Orwell geweckt. Italien, Finnland, Niederlande und Österreich haben sich kulturpolitisch zusammengeschlossen und ein Dreamteam gebildet, damit der Stoff erstmalig als Opernaufführung auf die Bühnen Europas kommt. Ganz nach den Wünschen des auserwählten Regisseurs Michieletto, der in Alexander Raskatov sogleich den idealen Partner fand.

Der Komponist Raskatov wurde 1953 in Moskau in eine russisch-jüdische Familie hineingeboren und hat nach dem Zerfall der Sowjetunion sein Land verlassen. Laut eigenen Angaben ließ er sich vor 30 Jahren (Anfang der 1990er-Jahre sic) in Deutschland nieder. Mit seinem Partner in Crime, dem Regisseur Damiano Michieletto aus Italien, hat die Chemie auf Anhieb gestimmt. Dessen Idee war es, das Geschehen der "Animal Farm" nicht auf einem Bauernhof, sondern in einem Schlachthof zu verorten.

Arme Schweine, böse Schweine

In der Einführungsmatinee zu Animal Farm an der Wiener Staatsoper gab Direktor Bogdan Roščić Hintergründe preis und lud das Kreativteam auf die Bühne zum Gespräch. Ungewöhnlich wenig Details über die Inszenierung gingen dabei hervor, obwohl sie schon vor einem Jahr das Licht der Bühnenwelt erblickt hat. Möglicherweise um das geneigte Staatsopernpublikum nicht zu verschrecken, denn der Stoff dürfte äußerst brisant sein. Es heißt: Dem Komponisten ist es wichtig gewesen, Orwells Außenansicht des Sowjetimperiums mit Innensichten des Systems zu verbinden, indem er Originalzitate von Stalin, Trotzki und des Geheimdienstchefs Beria einarbeitete, dabei auch die sexualisierten Gewalttaten des Letzteren miteinbeziehend. Das alles spielt in einem Schlachthaus, in dem messerschwingende Schweine das Sagen haben.

Kindergerechte Animal Farm

Die Inszenierung ist für ein älteres und honoriges Opernpublikum in Wien eine Steilvorlage, um ihre eigene Stimme zu erheben und einen Buhgesang zu veranstalten. Sicherlich nicht für die Leistung der Sänger und Sängerinnen, wenn schon für die Schweinsköpfe auf der Bühne. Die Jungen im Auditorium können über so eine Old-School-Schock-Inszenierung ohnehin nur lachen, aber ein paar Oldies werden sich ganz sicher triggern lassen. Damit der Plan nicht schief läuft, und das ganze ja ein Skandal wird, schickt man sogar Kinder auf die Bühne, um das blutrünstige, gewalttätige und sexuell aufgereizte Opernwerk zu begleiten. Für ihren großen Auftritt im "Chor" hat die Staatsoper frühzeitig vorgesorgt. Im Herbst 2023 wurden speziell Kinder für ein neues partizipatives Musik- und Tanztheaterprojekt gesucht, um eine Riege unerfahrener Kulturinteressierter aufzubieten und vorher entsprechend zu preppen. Am 28. Februar 2024 ist Premiere.

Die Erstaufführung des Auftragswerks "Animal Farm" fand in der Dutch National Opera statt.

Die Erstaufführung des Auftragswerks "Animal Farm" fand in der Dutch National Opera statt. | © Ruth Walz

Nach der Matura alles vergessen

Das Buch spielt auf einer Farm, auf der die Tiere gegen den tyrannischen Bauern Mr. Jones rebellieren und die Kontrolle übernehmen. Die Schweine, besonders zwei namens Napoleon und Snowball, übernehmen die Führung und versprechen den anderen Tieren Gleichheit und Freiheit.

Anfangs erleben die Tiere eine Zeit des Optimismus und Fortschritts, in der sie hart arbeiten, um die Farm zu verbessern. Doch nach und nach beginnen die Schweine, ihre Macht zu missbrauchen und die anderen Tiere zu unterdrücken. Sie ändern die Prinzipien der Revolution nach ihrem eigenen Nutzen und errichten ein totalitäres Regime, das dem des ursprünglichen Bauern ähnelt.

Regisseur Damiano Michieletto gibt im Stück "Animal Farm" sein Debüt im Haus am Ring.

Regisseur Damiano Michieletto gibt sein Debüt im Haus am Ring. | © Stefano Guindani

Napoleon, der Anführer der Schweine, wird zunehmend autoritär und tyrannisch, während Snowball, sein Rivale, vertrieben wird. Die Tiere leiden unter Ausbeutung, Zensur und Überwachung. Die berühmte Maxime "Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher" verdeutlicht die zunehmende Ungerechtigkeit auf der Farm.

Am Ende des Buches haben die Schweine alle Merkmale der früheren Herrschaft von Mr. Jones übernommen, und die anderen Tiere erkennen, dass ihre anfänglichen Hoffnungen auf Freiheit und Gleichheit betrogen wurden. Die Geschichte endet mit einem traurigen Blick auf die Farm, auf der die Tiere nicht mehr zwischen den Schweinen und den Menschen unterscheiden können.

Die Oper "Animal Farm" nach George Orwell kommt an die Wiener Staatsoper.

Die Oper "Animal Farm" nach George Orwell kommt an die Wiener Staatsoper. | © Ruth Walz

Auf George Orwells Spuren

Animal Farm ist in Russland nicht verboten. Zudem ist anzumerken, dass das Buch zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen politischen Regimen in verschiedenen Ländern aufgrund seiner politischen Botschaften und seiner Kritik an totalitären Regimen kontrovers diskutiert wurde. In der Sowjetunion war das Buch beispielsweise während der Zeit des Kalten Krieges und der Herrschaft Stalins verboten oder zensiert, da es als anti-kommunistisch und anti-stalinistisch angesehen wurde. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kommunismus wurde Animal Farm jedoch in Russland veröffentlicht und ist heute frei verfügbar.

(PA/red)