Das dunkelste Kapitel der österreichischen Vergangenheit in einer Kammerspiel-Komödie zu behandeln, ist ein wagemutiges Unternehmen für jeden Autor. Kontinuierliche Aufarbeitung der Geschichte und Selbstreflexion sind jedoch wichtig für die Reinigung alter Wunden. Dafür kann jedes Mittel recht sein. Auch wenn es am Ende der Vorstellung eigentlich keinen Grund zum Lachen geben sollte. Manchmal hilft ein bisschen Humor. Autor Stefan Vögel hat mit seinem Bühnenstück "Chaim und Adolf" den Versuch gewagt, die historische Schuld in ein neues Licht zu rücken. Mit den hervorragenden Schauspielern Géza Terner, Leopold Dallinger und Markus Tavakoli hat er dafür lebhaften Applaus bei der Uraufführung im Theater Freie Bühne Wieden geerntet.
Die Story ist kompliziert. In relativ kurzer Zeit werden familiäre Verstrickungen über drei Generationen erzählt. Das erfordert hohe Konzentration beim Zuhörer. Der Autor des Stücks spielt sein Spiel auf beiden Seiten des Vorhangs: Schach auf der Bühne und Schach mit dem Publikum. Stefan Vögel verfolgt offenbar höhere Ziele, als nur Komödie anzubieten. In seinem Stück sind allerlei Falltüren und doppelte Böden versteckt. Die Erwartungshaltung des Publikums ist prädestiniert: Es erwartet die Versöhnung mit der eigenen Geschichte. Am Ende werden alle Schachmatt gesetzt.
Zum Inhalt: Ein Israeli mit deutschen Wurzeln namens Chaim Eisenberg, kommt jedes Jahr zum Schifahren im Winter nach Österreich. Nur eines fehlt ihm in den Bergen: ein Schachpartner, der ihm gewachsen ist. Martin, der Wirt seines Stammgasthauses schlägt ihm einen Mann aus dem Nachbarort vor, dessen Namen Chaim stutzig macht: Adolf Oberhuber. Wie kann man nur so heißen, nach allem, was der echte Adolf angerichtet hat? Trotz einiger Ressentiments von Seiten Chaims kommen die beiden rasch ins Spiel. "Chaim und Adolf" eröffnet das Stück am Schachbrett mit einfachen Zügen. Banal oder genial - darüber lässt sich streiten. Schon bald wird klar, dass einer der beiden trickst und der andere flunkert.
Die beiden Schachfiguren verbindet mehr, als nur die Leidenschaft für das königliche Spiel. Chaim entpuppt sich als Historiker, dessen Neugier am Gegenüber keineswegs spontan gewachsen ist. Adolf spielt das bäuerliche Unschuldslamm, bis auch er sein bescheidenes Wissen über die Taten des Großvaters eingestehen muss. Die dritte Spielfigur im Schauspiel, der urige Wirt, lüftet im letzten Akt sein Berufsgeheimnis.
Dass es familiäre Bande zwischen Chaim und Adolf gibt, ist nicht die große Überraschung im Stück von Stefan Vögel. Diesen Schachzug hätte jeder Amateurspieler schon am Beginn erraten können. Die große Pointe hat einen ernsteren Hintergrund und lässt einige Fragen offen. Die Großmutter wird zur zentralen Figur der Geschichte. Sie kommt nicht gut weg. Scheinbar.
Der Opa hatte seinerzeit eine ukrainische Zwangsarbeiterin auf seinem Hof geschwängert. Ob sie sich geliebt haben, lässt sich nicht zweifelsfrei beweisen. Auch sonst war der Opa ganz lieb zu seinen Feldsklaven im Nationalsozialismus. Als die Arbeiter und Arbeiterinnen das Feld räumen mussten, ging auch die Schreckensherrschaft zu Ende. Die Beziehung lebte jedoch weiter. Der verratene Ehemann der Zwangsarbeiterin schmiert die betrogene Oma über Jahrzehnte mit vielen Dollarscheinen. Damit sie das Geheimnis des ausserehelichen Kindes niemanden verrät? Als der Sohn erwachsen ist, setzt er die Zahlungen fort und bringt die Geldscheine ins Alpendorf. Um die Schuld des Opas zu begleichen? Die jüdische Opferfamilie leistet Restitution an die Täter. Nicht umgekehrt. Wer so einen Plot erfindet, ist entweder ein Groß-Schachmeister oder ein Dippler.
Das witzige, spannungsreiche und versöhnliche Stück von Stefan Vögel feierte Premiere als Österreichische Erstaufführung in der Freien Bühne Wieden. Michaela Ehrenstein, die Direktorin des Theaters konnte neben dem Autor Stefan Vögel viele prominente Gesichter begrüßen. Ulli Fessl, Gerhard Dorfer, Boris Bukowski, Barbara Kaudelka, Felix Kurmayer, Gerald Szyszkowitz, Anita Kolbert, Reinhard Hauser, Robert Ritter, Nici Neiss, Wilhelm Peller, Elfriede Hammerl, Wilhelm Prainsack, u.v.m. waren von der hohen schauspielerischen Leistung begeistert. Das Stück "Chaim und Adolf" lädt zum Nachdenken ein. Es erzählt eine einzigartige Liebesgeschichte in den Wirren des Zweiten Weltkriegs und noch viel mehr.
(PA/red)
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