Kultur

Franzobel bringt "Wiener Stimmung" auf den Punkt

© APA (Archiv)/Arne Dedert

"Es ist gegenwärtig nur eine Lesart erlaubt: Das Virus ist hochgefährlich, und Millionen Menschen werden sterben, wenn . . . ", schreibt Robert Schneider seinem Kollegen Franz Stefan Griebl alias Franzobel. Die beiden österreichischen Schriftsteller haben sich via E-Mail Fragen gestellt und Antworten gegeben. Passagen aus diesem Email-Verkehr wurden editiert und in einem Artikel in der "NZZ"-Onlineausgabe zusammen gefasst. Herausgekommen ist ein gemeinsames Lamento gegen die zunehmende Gefahr eines autoritären Staates. Zumindest Robert Schneider spricht die Sorgen unverblümt an:

  • wir werden in Zukunft noch intensiver bevormundet, kontrolliert und eingeschränkt
  • Empfehlungen. Nicht Gebote und Verbote.
  • Unterbindung der Gegenrede und Herzstillstand des kritischen Journalismus

Mutlose Künstler

Liest man die Passagen von Franzobel im NZZ-Artikel, zeigt sich ein subtiler Unterschied, der beispielhaft für die heutige Kunst- und Kulturszene ist. Nur wenige bekannte und anerkannte Künstler (man darf sie wieder Kulturschaffende nennen) wagen es, sich durch deutliche Worte über ihre gegenwärtige Situation den Mund zu verbrennen. Wohl aus Angst, ihren Staatskünstler-Status zu verlieren oder aus Überzeugung, dass ihre Existenz momentan bloss körperlich in Gefahr sei. Aber wer sind eigentlich jene Künstlerinnen und Künstler, Intellektuelle und Journalisten, die überhaupt einen systemrelevanten Einfluss haben? Das weiß man indirekt seit der Online-Lesung des Buches "Die Pest" von Camus. In einem Solidaritätsakt für die eigene Wichtigkeit im heimischen Kulturbetrieb ließen sich über 100 Intellektuelle vom Rabenhoftheater überreden, sich ins Register einzutragen. Die Lesung fand aber nicht im Theater statt, sondern vor Computerbildschirmen via Stream.

Franzobel traut sich was

"Bei Corona erleben wir den Weltuntergang live und können dazu tickern und bloggen", schreibt Franzobel im E-Mail-Austausch mit seinem Schriftstellerkollegen für die "NZZ". Bei diesem provokanten Satz ist mehr oder weniger geblieben. Er fällt ganz am Anfang des Artikels und wahrscheinlich nur deshalb, um Robert Schneider ein wenig einzupeitschen. Der hatte sich als vehementer Zweifler vieler Regierungsmaßnahmen hervor getan, fand aber bisher keine Unterstützer für gemeinsamen Aktionismus. Der Rest der Aussagen von Franzobel im Artikel sind absolut jugendfrei in punkto Kritikfähigkeit:

  • was jetzt passiert ist, gleicht einem Putsch mit einem neuen Machthaber namens Corona
  • als Reaktion auf das globalisierte Virus ist mir das Schliessen der Grenzen verständlich
  • plötzlich leben wir in einem Überwachungsstaat, und die Leute nehmen es achselzuckend hin

Gleich zwei Uraufführungen Franzobels mussten wegen der Coronakrise verschoben werden. Die Premiere des Stücks "Der Leichenverbrenner" im Akademietheater, eine Dramatisierung des 1967 erschienen gleichnamigen Romans des Tschechen Ladislav Fuks, ist nun für den Herbst avisiert. Wann die Uraufführung des Zeitzeugenstücks "Hanni", die im Linzer Brucknerhaus geplant war, nachgeholt wird, steht noch nicht fest.  "Ich finde, die österreichische Regierung hat vieles richtig gemacht und damit Leben gerettet", gibt sich Griebl aka Franzobel in der NZZ versöhnlich.

Streamingreihe des Burgtheaters

Mit der aktuellen Krise beschäftigt sich Franzobel auch im Text "Die Säuberung", der den Auftakt zur neuen Streamingreihe des Burgtheaters mit dem Titel "Wiener Stimmung" bildet. Der Monolog beschreibt "die allmähliche Verrohung in der Quarantäne", wie der Autor gegenüber der APA ausführt. "Er schildert überspitzt Verhältnisse in einer Gesundheitsdiktatur, wenn wir nicht mehr gesund sind, um zu leben, sondern leben, um gesund zu bleiben."

Einmal drüber wischen

Den Monolog lieferte der Burgschauspieler Norman Hacker, dessen schauspielerische Leistung Bestnoten verdient. Das 17 Minuten dauernde Video mit dem Titel "Die Säuberung" bedient sich historischer Referenzen, die zwar anklangen, aber sehr verklausuliert und mitunter verblödelt. "Mit wem der Mann im Spiegel spricht, weiß er selber nicht genau. Auch nicht in welchem Jahr er sich befindet und wie lange die Krise schon andauert. Papiergeld jedenfalls gibt’s für ihn keins mehr, gezählt werden nur noch die Kilos, die er zusätzlich auf die Waage bringt ... " Die Beschreibung zum gespielten Text offenbart wieder jene starke Angst, sich durch Kritik an den vorgeschlagenen neuen Gesellschaftsnormen zum Aussenseiter stempeln zu lassen. Das wagt schon gar nicht ein Franzobel. Dafür lernen wir mehr zur Person Franz Stefan Griebl. 78 Live-Zusehern waren bei der Premiere auf Youtube dabei.

Franzobel im Netz

"Es gibt Online-Plattformen zum Saufüttern. Mir kommt das ein bisschen wie im Kindergarten vor, jeder bemüht sich, eh lieb, aber ein Stream kann kein Live-Erlebnis ersetzen, in keiner Sparte. Wie das weitergeht? Was glaubst du: Können wir in einem Jahr wieder Lesungen machen oder ins Theater gehen?".  Auch das sind Worte des Schriftstellers von Berufswegen, die in der neutralen Schweiz online gelagert wurden. Wenn Franzobel an einer Streamingreihe des Burgtheaters teilnimmt, kann er sich die Frage gleich selbst beantworten: auch Staatskünstler müssen in Krisenzeit ihr Geschäft erledigen.

(key)

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Redaktion

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