Jedermann-Premiere in Salzburg ohne Blitz und Donner
Die Jedermann-Premiere fand zum Auftakt der Salzburger Festspiele 2020 diesmal im Großen Festspielhaus statt. Ein Gewitter zog just unmittelbar beim Einlass des Publikums auf, nachdem der Domplatz nach langem Warten freigegeben wurde. Schließlich musste umdisponiert werden. Derweil wandten sich Aktivisten gegen eine 380-kV-Stromleitung, die anstelle der bestehenden 220-kV-Leitung vom Netzknoten St. Peter am Hart (Oberösterreich) zum Netzknoten Tauern bei Kaprun (Salzburg) führen wird. Aber das war nur ein Nebenschauplatz rund um das Theater der heurigen Salzburger Festspiele.
"Jedermann"-Premiere am Domplatz ausgefallen
Schon wieder musste wetterbedingt eine Jedermann-Premiere auf dem Salzburger Residenzplatz stattfinden. "Jahrhundert-Buhlschaft" Caroline Peters bekam am Ende neben Tobias Moretti, der in seinem vierten Jahr bereits die dritte Schauspielkollegin an seiner Seite hatte, den größten Applaus. Fairerweise muss dieser eher freundlich als frenetisch genannt werden, unfairerweise könnte man sagen, die aufgewärmte Inszenierung hätte mutiger gestaltet werden können. Zum rasenden Jubel gab es bei dieser Inszenierung und der herrschenden Stimmung sowieso keinen Grund. Der Funke ist an diesem Abend nicht übergesprungen, weil es kein loderndes Feuer auf der Bühne gab. Wozu auch.
Jedermann 2020 Kritik
Während die Festspiele heuer 100 Jahre alt werden, geht die Inszenierung von Michael Sturminger in ihr viertes Jahr. Die Neuzugänge - Pauline Knof als Schuldknechts Weib und Gustav Peter Wöhler als Dicker Vetter - fügen sich eher unauffällig ein, Tobias Moretti in der Titelrolle hat seiner Figur ein paar kleine jähzornige Ausbrüche hinzugefügt. Ansonsten ist er bei der Etablierung seiner Figur nüchtern-argumentativ geblieben, in der Rechtfertigung seiner (Un-)Taten ein Opfer des ökonomischen Sachzwangs: Das liebe Geld muss ja arbeiten! Sein Ende hört er früh komme. Eine Haltung zur Entdeckung der eigenen Endlichkeit zu finden, ist die Herausforderung seiner Figur, die den zweiten Teil des Abends deutlich interessanter macht als den ersten.
Theaterspiel als Persönlichkeitsschau missverstanden
Auch dank Christoph Franken als Mammon, der souverän deutlich macht, dass Jedermann sein Sklave ist und nicht umgekehrt, Mavie Hörbiger als schwindsüchtige Werke, Falk Rockstroh als kämpferischer Glaube und eines sehr spielfreudigen Gregor Bloeb als Teufel hat das letzte halbe Stündlein dieses "Jedermann" deutlich mehr Tiefe. Peter Lohmeyer als Tod und Edith Clever als seine Mutter legen wie in den vergangenen Jahren intensive Auftritte hin.
James-Bond-Film-Auftritt von Peters
Mit großem Interesse war der "Jahrhundert-Buhlschaft" Caroline Peters entgegengesehen worden. Sie spielte die Rolle wie gewünscht nicht im Brecht-Stil, so wie ihre Vorgängerin Valery Tscheplanowa, sondern mit einem stark ironisierten Showauftritt. Der Festspielgeburtstag findet heuer nämlich seinen Niederschlag auch auf der Bühne: Im goldglitzernden Abendkleid samt Stola legt Peters einen Glamourauftritt hin, erklimmt zu einem kleinen Männerballett eine dreistöckige, rosafarbene Geburtstagstorte und haucht als Marilyn-Monroe-Parodie "Happy Birthday". Bei der Tischgesellschaft ist sie im roten Hosenanzug samt schwingender Schärpe bemüht, den immer mürrischer und missmutiger werdenden Gefährten wieder zu guter Laune zu verhelfen.
Dieses Spiel mag nicht mehr
Anders als Morettis bisherige Buhlschaften Stefanie Reinsperger und Valery Tscheplanowa wirkt sie in ihrer Schauspielrolle als ebenbürtige, langjährige Partnerin, die mit mütterlicher Zuwendung und erneuerten Liebesbeteuerungen dem Gatten über eine kleine Lebenskrise hinweghelfen möchte: Da ist doch nichts, was man nicht gemeinsam bewältigen könnte! Dieses Paar hätte es schaffen können, denkt man. Diese Frau wäre doch mit ihm gegangen, bis ans Ende der Welt oder zumindest des Lebens! Umso erstaunlicher und unspektakulärer fällt dafür ihr Entschluss aus, ihn wie alle anderen zu verlassen: "Dein Spiel mag mir nicht mehr gefallen." Und langsam ab. Mehr ist da nicht. Wie sich diese Beziehung auf der Bühne künftig entwickeln könnte, wird man nicht erfahren: Er werde im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein, hat Moretti bereits angekündigt.
"Jubiläumsjahr" Salzburger Festspiele werden 2021 nachgeholt
Von neuer Tiefe angesichts des deutlich präsenter gewordenen Todes in unserer Gesellschaft, war an diesem Premierenabend nichts zu spüren. Im Gegenteil: Streckenweise stellte sich Routine und Gewöhnung ein. Statt eines "Jahrhundert-Jedermanns" ist im Jubiläumsjahr vielleicht eine Jahrhundertchance verpasst worden. Am 22. August vor 100 Jahren wurde Hugo von Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes zum ersten Mal am Domplatz gezeigt. Vielleicht sollte man im zweiten Jahrhundert an eine radikale Frischzellenkur denken, statt an der Einbalsamierung zu arbeiten. Bis zum 26. August steht er noch 13 Mal auf dem Programm der Salzburger Festspiele, darunter auch am 22. August, exakt 100 Jahre nach der ersten Aufführung am Domplatz, die als die Geburtsstunde der Festspiele gilt.
(APA/red)