Mozarts "Figaro" von Dorfer und Sokolova als TV-Premiere

Auch als Kabarettist ist Alfred Dorfer nicht für grelle Pointen und temporeiche Comedy bekannt, sondern für Understatement und bitterbösen Schmäh aus dem Hinterhalt. Seine erste Opernregie widmete er nun Mozarts "Le Nozze di Figaro" und coronabedingt feierte sie gestern, Sonntag, weniger in, als aus dem Theater an der Wien eine TV-Premiere. Dorfer ist und bleibt Spezialist für den dunklen Schein der Zwischentöne und Florian Boesch als Graf ist ihm dabei kongenialer Partner.

"Le Nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart

Die "Hochzeit" wird gerne als flotte Verwechslungskomödie inszeniert, im besten Fall mit doppeltem Boden. Aber wir kennen auch dunkle Deutungen, die das Brutale, Tyrannische der Geschichte betonen. Der lüsterne Graf, dessen Begierden von seinen Untergebenen nicht abgewehrt, sondern nur ausgetrickst werden können, tritt mal als Schlingel im Smoking, mal als Mächtiger vor der erzwungenen Einsicht in seine Menschlichkeit auf. Florian Boesch legt ihn ganz außerhalb dieser figurenzeichnerischen Komfortzonen an. Sein Conteist fast ekelhaft in seiner Einsamkeit, ein
gebrochener, wütender alter Mann, der immer wieder plötzlich von seinen Dämonen heimgesucht wird. Dann wird die Bühne schlagartig dunkel, mittendrin, und einige Sekunden lang ist alles anders, apathisch, angstvoll, die Rollen von Mächtigen und Untertanen vertauscht. Ein Fenster in die Seele des paranoiden Grafen, ein Schattenspiel, in dem Mozarts bekannte Töne nur zu lebhaft tanzen.

Regie: Alfred Dorfer und Kateryna Sokolova

Gemeinsam mit Ko-Regisseurin Kateryna Sokolova setzt Dorfer sonst weitgehend auf Reduktion. Die Räume des Schlosses sind leer bis auf einfache Sitzmöbel, das Feudale hat seine besten Jahre offenbar hinter sich, die Kleidung ist heutig, die Personenführung ernsthaft, aber zurückgenommen. Witz und Slapstick meidet der Neo-Opernmacher sorgfältig. Für die Fernsehkamera ist die Inszenierung nicht gedacht, ist dafür zu wenig in starken Bildern konzipiert, aber sie hält ihr über weite Strecken stand. Mit Robert Gleadow als sympathischem Figaro und Giulia Semenzato als tougher Susanna verfügt der Abend über ein Zentrum mit Herz, Verstand und starken, klaren Stimmen. Cristina Pasaroiu singt ihre Contessa Almaviva berückend schön, kann ihre Bühnenpräsenz aber nicht verlustfrei auf den Bildschirm skalieren. Die junge österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz, seit der aktuellen Saison Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper, debütierte an der Wien als seidig-frecher Cherubino.

Szenische Inszenierung

Musikalisch macht der Fernsehabend Vorfreude auf ein mögliches künftiges Liveerlebnis, nicht nur mit den Stimmen, denen man im Theater noch ein Mehr an Differenzierung zutrauen darf, sondern auch mit dem Concentus Musicus, dessen präzise Begleitung, drängende Spielfreude und im Handschlag mit der Inszenierung stets weiter in die Tiefe reichende Schattierung der Partitur durchaus Erinnerungen weckt an die dunkelglänzenden Großtaten, die sein Gründer Nikolaus Harnoncourt an eben dieser Partitur einst vollbracht hat. Sein Nachfolger Stefan Gottfried erweist sich einmal mehr als umsichtiger Bühnenversteher - in welchem Detail, das lässt sich vor dem Fernsehschirm freilich kaum beurteilen.

Notenlesen vom Blatt

Mit Probenarbeit und Premiere im Lockdown hat sich Alfred Dorfer keinen leichten Start im Operngenre ausgesucht. Dass es ihn nicht abgeschreckt hat, darf man hoffen. Denn es gibt viele Opernstoffe, denen sein tief blickender Hang zum Verständnis mittels grimmiger Satire eine Wohltat wäre. Das spürt man - vielleicht am stärksten - am Schluss. Die Versöhnung von Graf und Gräfin ist ein Hohn, um den er sich nicht bemüht. Während sie abgeht, ewige Verliererin in einem Spiel, das sie nicht angefangen hat, beginnt der Graf in grotesker Ausgelassenheit zu tanzen. Genauso allein wie zuvor.

(Von Maria Scholl/APA) /red