Die Wiederbegegnung ist durchaus eindrucksvoll ausgefallen: 33 Jahre nach der legendären Akademietheater-Uraufführung von “Mein Kampf”, einer Farce von George Tabori, ist das Stück seit Freitag im Burgtheater zu sehen. Für die Inszenierung zeichnet der israelische Schauspieler und Regisseur Itay Tiran verantwortlich. Auch, wenn sich die Zeiten stark geändert haben: Es bleibt ein außergewöhnliches Stück. Allerdings wurden auch Schwächen sichtbar. Hitler als Riesenbaby kann den Schrecken der Shoa nur schwer verkörpern. Und zu viel Liebe kann manchmal auch schmerzen.
Die Annäherung von Täter und Opfer, die menschliche Nähe vor einer sich anbahnenden Katastrophe, die sich in einem Wiener Männerwohnheim zwischen dem Möchtegern-Autor Schlomo Herzl und dem jungen, aus Braunau zur Akademie-Aufnahmeprüfung angereisten Adolf Hitler entwickelt, stellt noch immer ein starkes Gravitationszentrum dar. Durch die Besetzung haben sich die Kräfte allerdings verschoben.
War Ignaz Kirchner einst eine dominante Vaterfigur und Günter Einbrodt ein aufsässiger, verschlagener Ziehsohn, so macht nun Marcel Heuperman Hitler zum rüpelhaften Riesenbaby, dem bald die ganze Liebe Schlomos gilt. Markus Hering stattet seine Figur mit einer bedingungslosen zärtlichen Fürsorge aus, als könne man wider besseren Wissens den im als Künstler gescheiterten Bauerntölpel heranreifenden Vernichtungswillen mit Zuneigung zudecken und so das Kommende ungeschehen machen. Das Zusammenspiel der beiden trägt den über zweistündigen, pausenlosen Abend.
In der Rolle des Kochs Lobkowitz war Tabori selbst bei der Uraufführung für den erkrankten Hugo Lindinger eingesprungen und sorgte dabei für eine Sternstunde des darstellerischen Understatements. Oliver Nägele hat in der Neuproduktion durchaus Präsenz und auch starke Anfangsmomente, in denen er als Gott, der Herr, agieren darf. Im weiteren Verlauf verliert das Zusammenspiel mit Schlomo, in dem Tabori viel jüdischen Witz eingebaut hat, an Selbstverständlichkeit und Spritzigkeit, bis Regisseur Tiran ihn immer häufiger leblos ins Eck stellt. Letzteres ganz buchstäblich, denn im großen, unansehnlichen Bretterverschlag, den Jessica Rockstroh auf die Burgtheater-Bühne gestellt hat, herrscht mehr Kommen als Gehen.
Auch Schlomos junge Geliebte Gretchen (Hanna Hilsdorf) hat einen starken Auftritt, aber keinen Abgang. Dazwischen bedrängt sie den alten Mann mit jugendlichem Ungestüm – eine mit großer Forciertheit (und einem lebenden Huhn) gespielte Szene, die ein Fremdkörper in der Aufführung bleibt, die ihre größten Momente aus der Gelassenheit gewinnt. Ebenso ist der Auftritt von Sylvie Rohrer als Frau Tod, die im jungen Hitler sein Talent zum Würgeengel erkennt, als effektvolle Nummer gebaut.
Mit Rainer Gahlke, der als Heinrich Himmlisch mit der Axt ins Haus fällt, beginnt ein furioses Finale. In der Uraufführung spielte Heinz Zuber den kommenden Organisator des Massenmords als gefährlich glatten Intellektuellen. Gahlke ist dagegen mehr Fleischhauer und nagelt Schlomo Herzl umstandslos in Erlöserpose an die Wand. Blut spritzt. Am Huhn wird vorgeführt, was den Juden bevorsteht. Hitler bricht auf, sich in die Geschichte einzuschreiben. “Ich war zu dumm zu wissen, dass manche Menschen Liebe nicht ertragen können”, stellt Schlomo resigniert fest.
Itay Tiran hat die Aufführung seiner Großmutter Deborah und allen Überlebenden der Shoah gewidmet, “die in einem bestimmten Wortsinne eigentlich nicht überlebt haben – sondern bis heute täglich ihren Kampf austragen müssen, nicht daran zu sterben”. In eindrucksvollen Zwischenszenen macht er deutlich, dass alles in “Mein Kampf” von Schlomo arrangiert ist, eine
Familienaufstellung als Bewältigungsversuch eines unermesslichen Traumas. Damit berührt er den Kern des Stücks. Einmal lässt er kurz H.C. Straches Stimme aus dem Radio tönen. “Die Geschichte wiederholt sich”, kommentiert Schlomo, ehe er angewidert abdreht. Manches wie einen Auftritt von “Tiroler Tölpeln” hat der Regisseur gestrichen. Und den Witz am Ende hat er durch einen anderen ersetzt.
(APA/red)
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