Gaia-X Allianz formiert europäische Digital-Infrastruktur
Eine Allianz aus Wissenschaftern, IT-Experten und Medienmanagern hat die EU zum Bau einer eigenständigen Digital-Infrastruktur für Europa aufgerufen. Es ist nach Ansicht des Bündnisses "höchste Zeit" für eine Alternative zu den Internetriesen aus den USA und China. Damit soll die digitale Souveränität gestärkt, die Selbstbestimmung Europas als Rechts- und Wertegemeinschaft gewahrt, und jeder einzelne Nutzer von ausländischer Digital-Infrastruktur unabhängiger werden. Das Bündnis besteht aus SAP-Manager Henning Kagermann, dem scheidenden Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, und dem vor zwei Jahren neu gewählten Präsident der TU München, Thomas Hofmann, und lehnt sich an das EU-Projekt "Gaia-X" an.
EU kontrollierte Digital-Infrastruktur
Hofmann, sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Ob Cloud-Systeme, Suchmaschinen, Kommunikationsdienste: Die digitale Welt ist in US-amerikanischer oder asiatischer Hand." Er mahnte: "Ich glaube, es ist dringend Zeit aufzuwachen, sonst verlieren wir in diesem Zukunftsspiel auch noch die zweite Halbzeit." BR-Intendant Ulrich Wilhelm engagiert sich seit längerem für eine solche Infrastruktur. "Wenn Europa jetzt kraftvoll handelt und eine ambitionierte Initiative startet, kann ein öffentlicher digitaler Raum entstehen, der faire Zugangs- und Nutzungsbedingungen bietet, den öffentlichen Diskurs stärkt und die identitätsstiftende Pluralität Europas sicherstellt", sagte er der Mitteilung zufolge.
Forderungen ergänzen Projekt Gaia-X
Die Initiative sieht sich nicht in Konkurrenz zu bereits bestehenden Initiativen, sondern will diese für mehr Schlagkraft bündeln. Unter anderem treiben Deutschland und Frankreich Pläne für eine Cloud- und Dateninfrastruktur ("Gaia-X") voran - unterstützt von zahlreichen Unternehmen beider Länder. Das Vorhaben soll zu einem europäischen Projekt ausgebaut werden.
Ulrich Wilhelm sucht Job auf EU-Ebene
Wilhelms Vertrag beim Bayerischen Rundfunk läuft bis Ende Jänner. Er steht seit 2011 an der Spitze des Senders. Der Jurist und Journalist war zuvor Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Schon bisher steckte Wilhelm viel Energie in seinen Vorstoß für eine europäische Alternative zu den US-Internetriesen wie Google und Facebook. Dafür will er auf EU-Ebene weiterkämpfen - womöglich in neuer Funktion? Jede Menge Erfahrung und gute Beziehungen hat er.
Lächelnder Journalist
Wilhelm erntete während des Jahrzehnts im BR-Chefsessel rundum hohe Anerkennung. Auch bei einzelnen Kritikern, die zuletzt vernehmbarer waren. Markenzeichen des charmanten Blonden: ein stets freundliches Lächeln für seine Gesprächspartner - selbst dann noch, wenn der präzise Jurist und wortgewandte Ex-Journalist rundweg widerspricht.
Als ARD-Vorsitzender (2018/2019) suchte er mit den Zeitungsverlagen den Ausgleich über seinen direkten Draht zu Springer-Chef und Verleger-Präsident Mathias Döpfner (BDZV). Zugleich ist Wilhelms Regionaloffensive zu immer mehr BR-Berichten aus allen Ecken Bayerns so manchem Medienhaus im Freistaat ein Dorn im Auge.
In der Debatte zum Rundfunkbeitrag stellte er sich gegenüber der Politik hart auf - nicht immer zur Freude aller ARD-Häuser. Zuletzt machte der BR als einzige Landesanstalt bei einer neuen ARD-Kulturplattform mit Sitz im Osten nicht mit. Es knirschte hörbar. "Isoliert", lautete manche Einschätzung im Verbund.
Ohnehin verhält es sich mit ARD und BR wie zwischen dem Freistaat und dem übrigen Deutschland: Die Bayern gelten als mindestens selbstbewusst. "Mia san mia". Rein zahlenmäßig ist der BR unter den ARD-Landesanstalten die Nummer vier nach WDR, SWR und NDR.
Wilhelms Werk: Er baut den Sender energisch zum trimedialen Haus um - TV, Radio und Online aus einem Guss statt in Sparten. Herzstück soll das ein neues Redaktionszentrum beim Studio München-Freimann sein.
Der tiefgreifende Wandel auf allen Ebenen bewegt die rund 3.500 fest Beschäftigten, 1.700 arbeitnehmerähnlichen Freien und gut 400 Gagenempfänger mächtig. Im Tarifkonflikt gab es 2019 erstmals mehrtägige Streiks mit Sendeausfällen.
(APA/red)