Hunderte Beschwerden über Terror-Reportagen des Boulevard
Die Veröffentlichung von Videos, auf denen zu sehen ist, wie beim gestrigen Anschlag in Wien auf Menschen geschossen wird, hat rund 700 Beschwerden beim Presserat ausgelöst. Sie richten sich vor allem gegen "oe24.tv" aber auch gegen "krone.at", sagte Geschäftsführer Alexander Warzilek am Dienstag zur APA. Der zuständige Senat werde sich eingehend damit beschäftigen, kündigte er an. Der Presserat wies eindringlich darauf hin, den Persönlichkeitsschutz zu achten. oe24.at und krone.at haben in der Tatnacht Bild- und Videoaufnahmen geteilt, die eine Missachtung des Opferschutzes darstellten und gleichsam dem Attentäter eine Bühne verschafft haben. Twitter-Journalist und Falter-Chefredakteur Florian Klenk hat die Polizeiermittlungen durch Falschmeldungen behindert.
Presserat rügt eigenes Mitglied
Der Senat werde sich außerdem mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die Interessen der Terroristen befördert würden, wenn zu viele Bilder gezeigt werden, sagte Warzilek. Der Presserat mahnte zur Zurückhaltung: "Verbreiten Sie keine Gerüchte, behindern Sie nicht die Polizei, verzichten Sie auf Aufnahmen und deren Verbreitung, gefährden Sie weder sich selbst noch die Ermittlungen."
Billa und Spar stoppen Inserate beim Boulevard
Auf Twitter wurden Forderungen laut, die Presseförderung oder die Vergabe von Inseraten an den Umgang mit solchen Vorfällen zu knüpfen. Billa kündigte an, Inserate in "Österreich" zu stoppen: "Wir unterstützen dieses Vorgehen in keiner Weise, der Stopp unserer Werbeschaltungen auf diesem Medium ist bereits veranlasst", twitterte das Unternehmen. Auch auf "krone.at" sei der Stopp von Werbeschaltungen veranlasst worden.
Die Spar-Gruppe setzte den gleichen Schritt: "Aufgrund der Art der aktuellen Berichterstattung setzen auch wir ein klares Zeichen und stoppen alle unsere Werbeanzeigen für Spar, Interspar und Hervis auf @Oe24at", schrieb das Unternehmen am Dienstagvormittag auf Twitter.
Viertes "Watergate" für Mediengruppe Österreich
Es handle sich um die "ganz normale Dokumentation eines Terroranschlags", verteidigte "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner das Vorgehen gegenüber der APA. Die Aufregung "oe24.tv" betreffend halte er für "völlig überzogen". Schließlich seien die Videos auf der ganzen Welt zu sehen gewesen. "Wir haben nichts anderes gemacht, als internationale TV-Stationen wie CNN, Fox News oder das israelische Fernsehen auch", so Fellner. Außerdem sei der Persönlichkeitsschutz gewahrt worden, da die Gesichter nicht erkennbar gewesen seien. Die Videos seien nur auf "oe24.tv", nicht auf der Webseite der Zeitung gezeigt worden. Auch im TV habe man die Aufnahmen nach 23 Uhr nicht mehr gezeigt, als man die Kritik eines Teils der Zuseher mitbekommen habe. Ab 21 Uhr seien außerdem alle Werbeeinschaltungen im Umfeld der Terrorberichterstattung gestoppt worden, betonte er.
In der Vergangenheit gab es schon öfters Kritik an Fellners Newsimperium. Kurz nach der Gründung der Tageszeitung "Österreich" etwa wegen der Berichterstattung über die Geiselnahme in einer Bank, eine Verbalentgleisung gegenüber den damaligen Teamchef Koller, und der Live-Ticker einer Beerdigung für ein junges Opfer schadeten dem Ansehen der Medienmarke. Dieser Fall bedeutet den vierten gröberen Verstoß gegen den Ehrenkodex der Presse. Nicht zu vergessen Fake-Interviews mit Fußballer Alaba, vorgeschriebene Nachberichte von TV-Shows, Falschmeldungen über Nikolo-Verbote in Wiens Kindergärten und zuletzt die Berichterstattung über Coronafälle an einer Schule im Osten des Landes, die heftig dementiert wurden. Diese und ähnliche "News" haben immer wieder zu Rügen des Presserats geführt, dem oe24 paradoxerweise seit einigen Jahren angehört.
Auch Krone.at zeigte Opfer der Tatnacht
Der Chefredakteur der "Kronen Zeitung", Klaus Herrmann, reagierte in einer schriftlichen Stellungnahme: "Wir haben uns nach internen Diskussionen in der Nacht entschieden, Tatvideos nach bestmöglicher technischer Entschärfung zu veröffentlichen, um die Bedrohungslage zu unterstreichen. Die Videos wurden heute Morgen nach der - vermuteten - Entspannung der Lage wieder offline genommen", hieß es gegenüber der APA.
Eine Rose als Feigenblatt
In den Sturm der Entrüstung gegen "oe24" stimmte auch Eva Dichand, Herausgeberin von "Heute" und damit Konkurrentin am Gratiszeitungsmarkt - sowie Ehefrau von "Krone"-Herausgeber Christoph Dichand - ein: "Und BITTE... hauen Sie uns nie mehr wieder mit denen in einen Topf. Wir sind anders", schrieb sie auf Twitter und illustrierte diesen Appell mit den Titelseiten von "Heute" und "oe24": Eva Dichands Zeitung hatte als Aufmacherbild eine Rose gewählt und im Blattinneren erläutert, "warum 'Heute' auf Bilder von Täter und Opfern verzichtet".
Unverantwortliche Form von Journalismus
Der Verein Medienjournalismus Österreich (MÖ) verurteilte am Dienstag ebenfalls "die von einigen Medien - allen voran 'oe24' und 'Kronen Zeitung' - veröffentlichten Fotos und Videos": "Diese Form von Journalismus ist unverantwortlich und degoutant und gibt den Tätern auch noch eine Bühne. Solche Veröffentlichungen widersprechen nicht nur dem Ehrenkodex der Presse, sondern könnten auch juristische Folgen nach sich ziehen, weil die Verbreitung von Aufnahmen, auf denen Opfer eines solchen Anschlags zu erkennen sind, medienrechtlich unzulässig ist", hieß es in einer Aussendung. Der Verein appellierte "an alle Kollegen und Medien, nicht den Voyeurismus mancher zu befriedigen, sondern verantwortungsbewusst und mit Bedacht zu handeln".
Florian Klenk als Fake-News-Schleuder
Diskussionen gab es aber auch um "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. Er hatte in der Nacht zahlreiche Tweets abgesetzt, unter anderem zu einer angeblichen Geiselnahme. Für diesen Tweet entschuldigte er sich danach: "Im Stress der Nacht und auch im Schock der Ereignisse habe auch ich die Nachricht eines Polizisten an mich verbreitet. Die Quelle war seriös, die Nachricht war zum Glück falsch. Sorry." Als er am Dienstag Details zur Biografie des Täters twitterte, gab es kritische Reaktionen. Die entsprechenden Informationen fanden dann freilich nach einer Bestätigung durch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) auch ihren Weg in die mediale Berichterstattung.
Facebook hat ebenfalls versagt
Kurz nach dem Attentat konnten Facebook-User in Wien einen Status abgeben, dass es Ihnen gut geht und in Sicherheit sind. Wollte man das tun, forderte die Facebook-App zuerst die Freigabe der Standortdaten ein und wollte bei der Gelegenheit gleich einer dauerhafte Genehmigung erreichen. Im gleichen Feed wurden daraufhin Inhalte von Usern präsentiert, die Videos und Fotos von der Tat bereit gestellt hatten. Darunter war ein mutmaßlicher Todesschuss zu sehen.
(APA/red)