Die schwierige finanzielle Lage aufgrund wegbrechender Werbeerlöse und der zunehmenden Digitalisierung, die durch die Coronakrise verstärkt wurde, ist für Printmedien die derzeit größte Herausforderung. Davon zeigten sich sowohl Ex-"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann als auch "Standard"-Herausgeber Oscar Bronner bei den Medientagen am Donnerstag überzeugt. Trotz unterschiedlicher Rollenbesetzung waren sich alle einig, dass die Werbewirtschaft ausschlaggebend für vielfältigen Journalismus sei.
Unabhängiger Journalismus von unabhängigen Content Producern – davon kann es in einer freien Presselandschaft nicht genug geben. Auch Kolumnistin Franziska Augstein von der "Süddeutschen Zeitung", die als Keynote Speakerin ihre Sicht der Dinge vortragen durfte, und zu den Medientagen persönlich erschienen war, ist betroffen. Für ihre Kollegen im Reise-verwarnten Wien hatte sie nützliche Ratschläge. Gratis, exklusiv und per Live-Stream konnten unabhängige Journalisten die besten Zitate aussuchen und niederschreiben.
"Die Unabhängigkeit des Journalismus ist immer in Gefahr und muss immer neu erkämpft werden", wird "Standard"-Herausgeber Oscar Bronner zitiert. Es gebe immer Stakeholder, die "nicht viel von der Unabhängigkeit halten". Die Hauptgefahr bestehe derzeit darin, "dass die finanzielle Basis der meisten Medien erodiert", ist er überzeugt. "Daher sind die Medien verwundbar." Das wüssten auch alle, "die das bisschen Geld, das noch fließt", vergeben, sehr genau und setzten es entsprechend ein. Dabei handle es sich nur um die Inserenten, sondern auch um die österreichische Politik. Man könne genau beobachten, dass das Geld zu jenen Medien fließe, die genehm seien, so Bronner.
"Vor fünf Jahren hätte ich noch gesagt, es ist weniger die Politik, sondern es sind mehr die Unternehmen, die unsere Unabhängigkeit antasten", sagte Christian Rainer, Herausgeber und Chefredakteur des "profil", das heuer 50-jähriges Jubiläum feiert und von Bronner gegründet wurde. Inzwischen seien die Medien aus verschiedenen Gründen stärker unter Druck, stimmte Rainer zu. Auch wenn sich die Anzeigenumsätze erholen sollten, würden sie nicht mehr das Niveau von vor zehn Jahren erreichen. Die Erlöse aus dem Werbegeschäft würden sich vielleicht bei etwa 20 Prozent einpendeln, der Rest werde von den Usern und Lesern bestritten werden, die bereit sind, für die Inhalte zu zahlen.
Auch der frühere "Bild"-Chefredakteur Diekmann bezeichnete die wirtschaftliche Herausforderung in einem vorab aufgezeichneten Interview, das zuvor gezeigt worden war, als am größten. Diekmann, der die PR-Agentur Storymachine betreibt, war wegen der deutschen Reisewarnung nicht nach Wien gekommen.
"Die Coronakrise hat wie ein Katalysator gewirkt und einen ungeheuren Digitalisierungsschub bewirkt", sagte Diekmann. "Wer sich nicht rechtzeitig digitalisiert hat, der hat ein dramatisches Problem. Ich glaube, wir werden in der Medienbranche noch eine gewaltige Konsolidierung erfahren." Vielen Medien werde es nicht gelingen, sich so zu verändern, dass sie "auch morgen noch eine Existenzberechtigung" haben. Mediale Angebote, die sich an ein rein analoges Publikum wenden, etwa eine Programmzeitschrift, würden wohl nicht überleben.
Gefragt, wie Deutschland auf Österreich blicke, fiel Diekmann als erstes Corona ein: "In Europa verbinden viele den Ausbruch von Corona natürlich mit Österreich, das waren die Skigebiete." Es habe zwar gedauert, aber dann habe Österreich sehr konsequent reagiert. "Ich habe das Gefühl, dass in Österreich sehr vernünftig mit dem Virus umgegangen wird", lobte Diekmann. Er glaube nicht, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz durch die Krise "an Glanz verloren" habe. Privat wünsche er sich, dass seine Freunde "im Wiener Tal des Todes überleben", scherzte er aber.
Von einer anderen Perspektive beleuchtete Franziska Augstein, Autorin und Kolumnistin bei der "Süddeutschen Zeitung", die Situation der Medienbranche. Sie betrachtet Journalisten als freie Wesen, die jederzeit unbeeinflusst agieren könnten, aber es nicht tun, weil die Wünsche der "Kunden" ihr Tun lenke. Auf die Rolle mancher Chefredakteure, die immer öfters auch der Geschäftsführung angehören und am Nachrichtengeschäft anteilsmäßig dazuverdienen, wurde nicht näher eingegangen.
In ihrer Keynote "Die Verantwortung der Medien: Journalismus zwischen Morgen und Grauen" im Rahmen der Österreichischen Medientage 2020 in Wien ging Augstein manchmal recht harsch mit ihren Kollegen ins Gericht.
Franziska Augstein warnte bei den Medientagen Journalisten davor, dem Publikum nach dem Mund zu schreiben. "Wir Leute von den Medien machen uns klein und meinen allzu oft, den Interessen der Leser, Hörer und Zuschauer folgen zu müssen", sagte sie in ihrer Keynote zur Eröffnung des zweiten Tags der Österreichischen Medientage am Donnerstag. "Wir passen uns an, ja, wir biedern uns an", kritisierte sie.
Empfehlungen genau das zu tun, "laufen darauf hinaus, dass Journalisten sich zu Prostituierten machen". Doch während deren Arbeit darin bestehe, "die Wünsche der Kunden zu erfüllen", sollte die Arbeit der Journalisten darin bestehen, die Menschen zu informieren, betonte Augstein. "Meine feste Überzeugung ist, das, was wir zu sagen haben, interessiert das Publikum."
Kritisch sieht Augstein auch die Berichterstattung über das Coronavirus. Viele Medien würden Panikmache betreiben. "Ich finde es absolut unsäglich, dass seit vielen Monaten jeden Tag eine halbe Seite mit den neuen Fallzahlen gedruckt wird", sagte Augstein. Relevant wären aus ihrer Sicht die Todesfälle und die Zahl der schweren Erkrankungen.
Auch von den sozialen Netzwerken, die sie als asoziale Medien bezeichnete, hält Augstein wenig. Viele Menschen informierten sich mittlerweile vornehmlich auf solchen Plattformen im Netz, was dazu führe, dass jeder in seiner eigenen Blase lebe. "Die Informationsgesellschaft bricht auseinander", warnte Augstein.
Die Zukunft der Medienlandschaft sieht sie trotzdem optimistisch: "Die Auspizien für unsere Branche sind gar nicht so schlecht", ist sie überzeugt. In fünf, sechs Jahren werde es mehr digitale Abonnements, aber nach wie vor eine lebendige Medienlandschaft geben. Es sei voreilig, "Print ist tot" zu schreien. Gefährdet seien eher die Fernsehsender als die Zeitungen, glaubt Augstein.
(APA/red)
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