Seit über zwei Jahren sorgt ein Werbespot für das Potenzmittel Neradin im ORF-Fernsehen nach den Hauptnachrichten für gehörige Aufregung. "So macht's wieder Spaß mit ihm" ist der entscheidende Schlusssatz, an den sich vor allem männliche Zuseher gehörig stoßen. Seither prasseln ständig Beschwerden beim Österreichischen Werberat ein, die nichts anderes als ein Verbot der Werbung fordern. Argumentiert wird meist zweierlei: Für die einen ist der Zeitpunkt der Ausstrahlung in Bezug auf Kinder, die zuschauen könnten, bedenklich. Für die anderen geht es um die entwürdigende Darstellung von Männern, die von Erektionsstörungen betroffen sind. Alle vorgebrachten Einwände blieben bisher erfolglos. Erst vor einem Monat hat der Werberat erneut entschieden, dass im Falle der beanstandeten Werbemaßnahme von Neradin (TV-Spot) kein Grund zum Einschreiten vorliege. Obwohl diesmal eine recht überzeugende Argumentationslinie vorlag: Man stelle sich einen Geschlechter-Rollentausch vor.
Neradin ist ein rezeptfreies Arzneimittel, das auf dem Wirkstoff Turnera diffusa (Damiana) basiert. Der Hersteller gibt an, dass es zur Behandlung von Erektionsstörungen eingesetzt werden kann. Einige Studien legen nahe, dass Damiana möglicherweise einige vorteilhafte Auswirkungen auf die sexuelle Funktion haben könnte, aber die Evidenz ist nicht eindeutig. Die Marke Neradin wird von der PharmaSGP GmbH mit Sitz in Gräfelfing bei München angeboten. Das Unternehmen ist auf die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von rezeptfreien Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln spezialisiert. Zum Portfolio zählt das ebenso heftig beworbene Produkt Rubaxx Cannabis CBD Gel.
Das Unternehmen ist mit seinen Cremes und Mittelchen dauerpräsent im ORF-Fernsehen und ein zahlungskräftiger Kunde der ORF-Enterprise. Den Neradin-Spot und die Dialoge kennt mittlerweile ganz Österreich, so oft wird er ausgestrahlt. "Meine Rakete hebt nicht mehr ab“ oder „Mein Zug fährt nicht mehr in den Tunnel“ gestehen sich darin zwei ältere Männer (Schauspieler) ein. Einer davon kennt bereits die Lösung und gibt sein Wissen weiter: "Mit Neradin ist sexuelle Schwäche kein Problem mehr". Bestätigt wird die Behauptung in der Schlussszene von einer leichtbekleideten Frau, die zu ihrem Partner ins Bett steigt mit den Worten "So macht's wieder Spaß mit ihm".
Mehrfach hat der Österreichische Werberat in seinen Urteilsverkündungen argumentiert, dass durch die verwendeten Metaphern keine verspottenden oder verächtlich machenden Effekte, bezogen auf Frauen bzw. weibliche Genitalen erkannt wurden. In einer Entscheidung, die der Werberat am 17.01.2024 veröffentlicht hat, wurde abermals eine Stellungnahme zum längst getroffenen Spruch abgegeben. In diesem Fall hatte der Beschwerdeführer versucht, die Diskriminierung von Männern mithilfe eines Geschlechter-Rollentauschs zu argumentieren. Der Mann regte an, der Werberat solle sich vorstellen, es handle sich um einen Werbespot für ein Mittel gegen Scheidentrockenheit. Der Plot des fiktiven Umkehr-Neradin-Spots liefe dann so: Zwei ältere Frauen führen den Dialog wie ihre männlichen Pendants, metaphorisch gesprochen, worauf am Ende ein vergnügter Mann ins Bett der Frau hüpft mit den Worten: "So macht's wieder Spaß mit IHR!". Wie schon in früheren Urteilnahmen wurde der Aspekt von Männerdiskriminierung erneut vom Tisch gewischt. Bezugnehmend darauf liest sich die Begründung des Werberats eher lapidar.
"Im Kontext eines Arzneimittels für Frauen, das darauf abzielt, die sexuelle Funktionsleistung wiederherzustellen, könnte der Spruch "So macht's wieder Spaß mit ihr" problematisch sein, wenn er impliziert, dass die sexuelle Leistungsfähigkeit oder das Vergnügen einer Frau ausschließlich für das Vergnügen ihres Partners wichtig ist oder dass die Frau die Hauptverantwortung dafür trägt, dass die sexuelle Beziehung angenehm ist.
Solche Aussagen könnten sexistisch oder diskriminierend wirken, da sie die sexuelle Autonomie und das Vergnügen der Frau herabsetzen und Frauen auf eine unterstützende oder dienende Rolle in Beziehungen reduzieren könnten.
Es ist wichtig, dass Werbung für Arzneimittel zur Behandlung sexueller Dysfunktionen bei Frauen respektvoll und sensibel ist und die Vielfalt der Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen von Frauen in Bezug auf Sexualität und Beziehungen anerkennt. Werbesprüche sollten darauf abzielen, das Selbstwertgefühl und die Autonomie von Frauen zu stärken und stereotype Vorstellungen über Geschlechterrollen zu vermeiden."
(red)
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