Bleibende Bilder einer verlassenen Wiener Innenstadt

Das Corona-Virus hat, metaphorisch gesprochen, ganz Österreich infiziert. Auch die Menschen in Wien haben den Ernst der Lage begriffen. Wer auf die Straße geht, trägt möglicherweise zur Verbreitung von Covid-19 bei und sollte deshalb besser Zuhause bleiben. Die negativen Auswirkungen des gefährlichen Erregers bekommen unsere italienischen Nachbarn voll zu spüren. Sie müssen in strenger Isolation ausharren. Deren Gesundheitssystem kommt mit der hohen Zahl an plötzlich erkrankten Menschen nur sehr schwer zurecht. Patienten hatten keine Chance auf Genesung, weil der Virus zu stark und dringend benötigte Hilfe nicht schnell genug zur Stelle war. Um so eine Situation in Österreich nicht einmal ansatzweise aufkommen zu lassen, hat die Österreichische Bundesregierung und auch die Stadt Wien ein weitreichendes Maßnahmenpaket in Gang gesetzt. Die Bevölkerung Österreichs muss dazu beitragen, den Krankheitserreger in Schach zu halten, indem sie den Aufenthalt in der Öffentlichkeit meidet und nicht an Versammlungen teilnimmt.

 

Leere Straßen in Wien

Alle Geschäfte in Wien müssen seit Dienstag geschlossen bleiben. Ausgenommen sind Lebensmittelhandel, Tierfutterhandel, Apotheken, Drogerien, Post, Banken und andere Geschäfte, die für die Grundversorgung (auf Supermarktniveau) notwendig sind. Geschäfte für medizinische Produkte und Heilbehelfe sowie Anbieter von Notfall- und Sicherheitsprodukten ist das Öffnen weiterhin gestattet. Wer das Notwendigste einkaufen möchte, wichtige Erledigungen hat oder unbedingt zur Arbeit fahren muss, darf sich aus diesen Gründen in den öffentlichen Raum begeben. Wie ein Lokalaugenschein in der Wiener Innenstadt, am Dienstag 17. März ergab, halten sich die Wienerinnen und Wiener daran. So gut wie menschenleere Straßen, geschlossene Geschäfte und weniger Autoverkehr prägten das Straßenbild. Dienstagvormittag gab es im 1. Bezirk keine sonderliche Präsenz von uniformierten Polizisten oder Polizeifahrzeugen zu bemerken.

452 Radfahrer passierten den Checkpoint beim Karlsplatz

452 Radfahrer passierten den Checkpoint beim Karlsplatz zwischen 00:00 und 11:13

Geschlossene Lokale

Seit Dienstag ist es Restaurants, Bars und Lokalen verboten, ihre Geschäfte zu öffnen. In gesamten Wiener Innenstadt wurden die Läden dicht gemacht. An manchen Türen hängt ein Zettel mit einer Notiz, aber die meisten Geschäfte haben von einer Nachricht an Kunden abgesehen. Zu schmerzlich dürften die Begleiterscheinungen sein, die aus der rigorosen Regierungsmaßnahme erwachsen. Das AMS (Arbeitsmarktservice) hatte schon am Vortag einen Rekord an Arbeitslosenmeldungen gemeldet. Für das Corona-Kurzarbeitsmodell, das am vergangenen Wochenende vom Nationalrat beschlossen wurde, stehen insgesamt 400 Millionen Euro zur Verfügung. Um die Wiener Wirtschaft nach Corona wieder flott zu kriegen, werden aber noch viel größere Summen freigegeben. Für einige Gastronomen könnte sich der Fehlstart in die Frühjahrssaison existenzbedrohend auswirken, wenn Miete, Lohnforderungen und Lieferantenrechungen nicht bezahlt werden. Die Regierung verspricht rasche Hilfe und auch die Stadt Wien setzt Maßnahmen.

Kurzarbeit soll Kündigungen in allen Branchen verhindern

Die Loos Bar hat zugemacht

Wiener Kulturleben

Die Auswirkungen auf das kulturelle Angebot in Wien kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden. Zahllose Konzerte, Veranstaltungen und Events im März und April und darüber hinaus mussten abgesagt werden. Auch Künstler und Theatermacher wollen ihre eigene Gesundheit nicht gefährden oder andere Menschen anstecken. Die Hoffnung, dass es schnell wieder weitergeht und gar nicht so schlimm wird, ist auch nicht unbegründet. Vor allem wenn man Digitale Medien nützen kann, um in Kontakt mit seinem Publikum zu bleiben. Die Wiener Staatsoper zeigt es vor und bietet schon des längeren Live-Streams aus dem Opernhaus für Tablets, Phones und Smart-TVs im Abo. Weil auch die Staatsoper, so wie alle anderen Theater, Kinos und Event-Locations, gesperrt bleiben muss, hat sich die Direktion entschlossen, ihr Medienarchiv zu öffnen und jeden Tag ein Highlight aus der Opernschatzkiste als Stream kostenlos bereitzustellen.

Jakob Feyferlik als Peer Gynt und Rebecca Horner als Frau in Gruen in Peer Gynt

Jakob Feyferlik und Rebecca Horner in Peer Gynt im Live-Stream | © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

So fühlt sich Wien an

Das Verständnis für die Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen durch die Regierung ist allgemein hoch. Die meisten Menschen bleiben den Straßen und Gehwegen fern. Dienstagvormittag sah man nur eine Handvoll Passagiere in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Autoverkehr schien auch etwas ruhiger zu sein. Rund 500 Radfahrer passierten bis elf Uhr Früh eine Zählstation beim Karlsplatz. In der Innenstadt waren kaum Menschen, hin und wieder sah man Jogger durch die Gassen laufen. Passanten machten einen Bogen um Entgegenkommende und vermieden den Blickkontakt. Auffällig viele Menschen trugen eine Sonnenbrille trotz des bewölkten Himmels. Am wenigsten glücklich wirken momentan die Angestellten im Lebensmittelhandel. Die Helden des Alltags bekommen zwar großes Lob von den Politikern, aber die Kunden hätten sich nicht entsprechend gerändert, wie eine Wurstverkäuferin gegenüber keymedia Wien schilderte. Sie fühlt sich benachteiligt.

Warum wir, und nicht die?

Als eine Kundin im Geschäft nach einem schönen Stück Fleisch für Ossobuco fragt, und sich fürchterlich aufregt, als es keines gibt, wäre der Verkäuferin einer bekannten Fleisch/Wurst/Esslokal-Kette beinahe der Kragen geplatzt. Was sie noch mehr störte, ist die körperliche Nähe zum Kunden. "Warum wird beim Busfahrer die Tür und der Platz abgesperrt, damit er sich nicht anstecken kann, und bei mir können die Kunden über den Tresen husten. Da kümmert sich niemand um unseren Schutz", so die Handelsangestellte beim Kundenplausch. Auch manchem Supermarktangestellten steht der Ärger ins Gesicht geschrieben, wenn Kundinnen und Kunden mit Delikatessen im Einkaufswagen in aller Ruhe ihre "Grundversorgung" erledigen. Am Ende des Gesprächs mit der Wurstverkäuferin sind doch noch versöhnliche Töne durchgeklungen: "Wenigstens haben wir noch einen Job". Es waren schon einige im Geschäft, die keinen mehr haben.

Leere Wiener Strassen und geschlossene Geschäfte auf der Kärnterstrasse

Manch Handelsangestellter fühlt sich an die Leine gelegt

Arme LehrerInnen

Besonders leidtragend ist auch die Lehrerschaft. Obwohl nur sehr wenige Kinder in die Schule kommen, stellt diese Gruppe eine immense Belastung für sie dar. Gemeint sind jene Kinder, deren Eltern zur Arbeit gehen müssen, genauso wie lernschwache Schüler und solche mit Nachholbedarf aus den unterschiedlichsten Gründen. Glaubt man den Schilderungen eines betroffenen achtjährigen Volksschülers, gibt es für sie momentan nur wenig Aufmerksamkeit von den PädagogInnen. Beim Mittagessen erhalten die Kinder einer Wiener Ganztages-VS gar nur eine portionierte Ration und kein bisschen extra. Nachschlag gibt's erst wieder, wenn alle Schüler wieder das sind, wird den kleinen Ausreissern zu verstehen gegeben.

Nach dem gleichen Motto gibt es für die Volksschulkinder seit Montag auch keinen Unterricht mehr. Lehrer, die noch vor zwei Wochen um Verständnis wegen zu geringer Kapazitäten baten, sind in dieser Situation leider wieder die Hände gebunden. Weil die öffentlichen Volksschulen kurzerhand in Betreuungseinrichtungen umgewandelt wurden, damit all jene Kinder, die in geordneten Verhältnissen daheim bleiben können, sich nicht benachteiligt fühlen. Pech gehabt. Ein paar Aussenseiter muss es im österreichischen Schulsystem anscheinend immer geben.