Bürgermeister Ludwig entscheidet sich für Neos

Am Dienstag ist eine wichtige Vorentscheidung gefallen, welche Koalition künftig in Wien das Sagen hat. Die SPÖ hat in einer Sitzung des Erweiterten Vorstands darüber entschieden, mit den Neos in Regierungsverhandlungen zu treten. Da die ÖVP de facto aus dem Rennen war, hatten sich die Roten gegen ihren bisherigen Partner, die Grünen, entschieden.

Wiener SPÖ wagt neue Wege

Die Premiere einer rot-pinken Koalition und damit das Ende der zehnjährigen rot-grünen Zusammenarbeit in Wien rückt näher. Denn die SPÖ wird mit den Neos in Regierungsverhandlungen treten. Das teilte der Landesparteivorsitzende und Bürgermeister Michael Ludwig nach einer Sitzung des Erweiterten Parteivorstandes in einer Pressekonferenz mit. Die Gespräche mit den Pinken sollen bereits am Dienstag aufgenommen werden.

Ludwig betonte, dass man sich für "einen mutigen, neuen Weg" entschieden habe - "dass wir die Tür öffnen wollen für eine Fortschrittskoalition". Die Entscheidung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Neos sei im Präsidium einstimmig gefallen, im Vorstand "mit überwältigender Mehrheit".

Die Wiener SPÖ nimmt Verhandlungen mit den Neos auf

Die Wiener SPÖ nimmt Verhandlungen mit den Neos auf | © ORF

Bevor der Bürgermeister die Entscheidung bekannt gab, klärte er die Journalisten bei einer extra anberaumten Pressekonferenz auf, welche Themenschwerpunkte ihm bei allen Sondierungsgesprächen wichtig erschienen.

Themenschwerpunkte:

  • Bewältigung der Coronakrise (Primär-Versorgungszentren in Wien)
  • Wirtschaftsstandort Wien stärken (Einpersonen- und kleine Unternehmen, Arbeitslose unterstützen, insbesondere Lehrlinge und die Personengruppe über 50 Jahre)
  • Gesellschaftspolitischer Aspekt (Auswirkungen für Frauen am Arbeitsmarkt lindern, Frauen sollen nicht vom Arbeitsmarkt abgedrängt werden)
  • Bildungssystem stärken (kostenfreier Kindergarten, kostenfreie Ganztagesschulen (79 bisher), Bildungscampus, verschränkter  Unterricht, Modernisierung des Schulbetriebs) 
  • Klimawandel (50-Punkte-Programm)

Bei den Sondierungsgesprächen hatte Michael Ludwig auch die Wichtigkeit des geförderten Wohnbaus hervorgehoben und angekündigt, den Weg konsequent fortsetzen zu wollen. Auch mit gemeinnützigen Bauträgern und den Sozialpartnern. 

Erste sozial-liberale Koalition mit den Neos

Ludwig führte bei der Pressekonferenz weiter aus, dass Wien eine weltoffene Stadt bleiben solle. Viele Menschen aus anderen Ländern arbeiten bei internationalen Organisationen der UNO-Stadt Wien. Eine Bevorzugung jener Menschen, die bereits länger in der Stadt leben, soll vorgesetzt werden. Atmosphärisch sei das Klima bei allen Gesprächen gut gewesen. Die Entscheidung für die Neos wurde mit überwältigender Mehrheit im Vorstand beschlossen. 

Ludwig betonte in der Pressekonferenz, dass es sowohl bei Neos als auch bei den Grünen inhaltlich "viele Gemeinsamkeiten" gebe, aber bei der Umsetzung dieser hätten sich in den Sondierungsgesprächen "Unterschiede bei der Betonung der Inhalte" herausgestellt. "Ich werfe der (rot-grünen, Anm.) Koalition keine Steine nach. Vieles ist gelungen, aber es scheint uns jetzt die Zeit reif zu sein, etwas Neues zu versuchen", betonte der Bürgermeister.

Erfolg für Christoph Wiederkehr

Das sei natürlich immer auch mit einem Risiko behaftet. "Die Neos haben noch nicht viel Regierungserfahrung, wenn man von der Beteiligung in Salzburg absieht. Aber ich bin überzeugt - auch aufgrund vieler Gespräche, die es auch im Zuge des Wahlkampfes gegeben hat -, dass der Klubvorsitzende Christoph Wiederkehr sich sehr ernsthaft beteiligen möchte an einer Regierung", betonte Ludwig. Man werde sehen, ob die Verhandlungen tatsächlich zu einem Koalitionsvertrag führen: "Falls sich zeigen sollte, dass die vertiefenden Gespräche nicht das halten sollten, was in der Sondierung angesprochen worden ist, gibt es erfreulicherweise für die SPÖ andere Optionen."

Der Bürgermeister berichtete, dass das Präsidium einstimmig für Koalitionsgespräche mit den Neos votiert habe. Im Erweiterten Vorstand habe es zwei Gegenstimmen gegeben. Im Zuge des noch anstehenden Verhandlungsauftaktes soll laut Ludwig einmal das Prozedere für den weiteren Gesprächsverlauf geklärt und danach in Arbeitsgruppen die unterschiedlichen Themen durchgenommen werden. Erst am Ende stehe die Ressortzuteilung und die personelle Besetzung. Es gebe jedenfalls in der SPÖ die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.

Es gibt allerdings Bereiche, die für die Roten nicht verhandelbar sind, nannte Ludwig etwa die "gut funktionierende Sozialpartnerschaft" oder die kommunale Daseinsvorsorge. Auch Privatisierungen - hier gab es von den Neos immer wieder entsprechende Ideen - seien angesichts der derzeitigen Corona-Situation "nicht das Hauptthema", stellte Ludwig klar. Man sei aber grundsätzlich bereit, "offenen Herzens auf die Neos zuzugehen und erwarte mir das gleiche auch von den Neos".

Inhaltliche Schnittmengen ausschlaggebend

Ludwig sagte, er plane nicht, den Stadtsenat zu vergrößern. Bleibt es dabei, behält die SPÖ sechs Stadträte, die Neos erhalten ein Ressort. Bei den Grünen wären es zwei gewesen. Das sei aber nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen, versicherte der Wiener SPÖ-Chef - der allerdings nicht vergaß zu erwähnen, dass die Sozialdemokraten bei der Wahl sechs Mal so stark gewesen seien als die Pinken. Wichtiger seien vielmehr inhaltliche Schnittmengen gewesen: In gesellschaftspolitischen Fragen seien Rot und Pink sehr schnell auf einen gemeinsamen Nenner gekommen, in wirtschaftspolitischen Fragen werde man sich einigen können.

Bildungsressort für Wiener Neos

Welches Ressort der wohl künftige Regierungspartner bekommt, ließ Ludwig freilich offen. Die Neos hatten sich im Wahlkampf sehr auf das Bildungsthema fokussiert. Und hier dürfte es tatsächlich Bereitschaft seitens des Bürgermeisters geben, das Bildungsressort abzutreten: "Das wird Verhandlungssache sein. Aber man muss dem Koalitionspartner zugestehen, dass er in einem Bereich Verantwortung übernehmen kann, der ihm wichtig ist." Kommt es so, muss der jetzige Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky um seinen jetzigen Job bangen. Wobei Ludwig betonte: "Mein Ziel wäre es, mit diesem Team weiterzuarbeiten." Czernhorszky könnte also mit anderen Aufgaben betraut werden.

Hebein hinterlässt verbrannte Erde

Auf die Frage, inwiefern er die Zusammenarbeit mit der Grünen-Chefin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein vermissen werde, sagte Ludwig, dass er zu allen Personen und Parteien im Gemeinderat immer ein professionelles Verhältnis pflege - wenn auch "graduell abgestuft": "Ich bin überzeugt, dass ich auch in Zukunft mit Birgit Hebein sehr interessante Gespräche führen werde."

Die Wiener ÖVP zeigte sich von der Entscheidung der SPÖ, mit den Neos in Koalitionsverhandlungen zu treten, wenig überrascht. "Dieses Ergebnis war erwartbar und kommt nicht überraschend", hieß es in einer Aussendung am Dienstag. Aus Sicht der ÖVP habe sich die SPÖ "für den bequemsten Weg mit dem schwächsten Partner" entschieden.

Ausgangslage vor der Bekanntgabe

Nach der Wien-Wahl am 11. Oktober hatte die SPÖ aufgrund der neuen Mandatsverhältnisse vier potenzielle Partner zur Auswahl - wobei die Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit mit der FPÖ a priori ausgeschlossen hatten. Blieben ÖVP, Grüne und Neos, mit denen in der Vorwoche Sondierungsgespräche geführt wurden. Nachdem die Türkisen nach ihrem Termin selbst von Differenzen berichteten, galten zuletzt Grüne oder Neos als realistische Koalitionspartner für die SPÖ.

Das Treffen des Erweiterten Vorstands begann um 10.00 Uhr. Bürgermeister und SPÖ-Wien-Chef Michael Ludwig, der bis zuletzt keine Präferenz erkennen ließ und über das verlängerte Wochenende wohl noch zahlreiche Telefonate geführt hat, gab das Ergebnis zu Mittag in einer Pressekonferenz bekannt.

Ludwig gab jedenfalls das Ziel aus, dass die neue Stadtregierung bis Mitte November stehen soll. Für den 24. November ist jedenfalls die konstituierende Sitzung des Gemeinderats anberaumt, bei der auch die Regierungsmitglieder angelobt werden sollen.

Die SPÖ hat die Wien-Wahl am 11. Oktober klar gewonnen. Sie konnte zwei Mandate zulegen und hält nun bei 46 - zu wenig für eine Alleinregierung, die ab 51 von 100 Abgeordneten möglich wäre. Deshalb braucht sie auch diesmal einen Regierungspartner. Mit den Grünen, die seit 2010 mit der SPÖ zusammen arbeiten und nun von zehn auf 16 Mandaten zulegen konnten, hätte die Koalition eine satte Mehrheit von 62 Abgeordneten. Mit den Neos, die sich von fünf und acht Sitze verbessern konnten, wären es 54 Mandate - und damit genauso viel, wie Rot-Grün zuletzt hatte.

(APA/red)