Erinnerungen an Eugenie Schwarzwald im Herrenhof
Eugenie Schwarzwald (1872-1940) gilt als Pionierin der Mädchenbildung, zu einer Zeit, als das Schulsystem in Österreich noch in den Kinderschuhen steckte. Nach ihrem Studium an der Universität Zürich erhielt sie den Doktortitel, wurde Lehrerin in Wien und übernahm im Jahr 1901 die Schulleitung eines Mädchenlyzeums. Daraus ging das erste Realgymnasium für Mädchen in Österreich hervor, an dem junge Frauen maturieren konnten. Im Jahr 1913 übersiedelte die Schule in die Herrengasse 10, wo heute das Steigenberger Hotel angesiedelt ist. Der Historiker Robert Streibel lud am 4. Juli an diesen geschichtsträchtigen Ort zu einer “Sprechstunde in Sachen Eugenie Schwarzwald”, wo er ein interessiertes Publikum über die ambivalente Persönlichkeit aufklärte.
Treffen im Café Herrenhof
Das ehemalige Literatencafé in der Herrengasse 10 ist ebenso Geschichte wie die Privatschule für Mädchen von Eugenie Schwarzwald in den Stockwerken darüber. Lebendig bleibt ihr Andenken dank des Einsatzes von Historikern wie Robert Streibel. Sein extensives Forschen zum Judentum in Österreich hat er in zahlreichen Publikationen dokumentiert und an vielen Orten Wiens sichtbar gemacht. Als Direktor der VHS Hietzing setzt sich Streibel für eine lebendige Erinnerungskultur ein, sei es durch Ausstellungen, Lehrprogramme oder Interventionen im öffentlichen Raum. Ihm ist es auch zu verdanken, dass sich das Steigenberger Hotel Herrenhof seiner Geschichte bewusst geworden ist. Die Direktion hat eine kleine Ausstellung zum Wirken der Frauenrechtsaktivistin auf Initiative des Forschers im Barbereich möglich gemacht.
Konservative Revolutionärin
Die ambivalente Rezeption historischer Figuren wie Eugenie Schwarzwald in der heutigen Erinnerungskultur spiegelt tiefgreifende Fragen über den Umgang mit Vergangenheit in einem modernen gesellschaftspolitischen Kontext wider. Eugenie Schwarzwald ist umstritten. Trotz ihrer Errungenschaften stehen manche Aussagen in starkem Kontrast zu ihrer humanistischen Grundeinstellung, die bis heute Nachwirkungen zeigen. In der “Sprechstunde” von Robert Streibel im Hotel Steigenberger erfuhren die Gäste allerlei Hintergründe über ihr Wirken und leisteten mit ihrem profunden Wissen einen wertvollen Beitrag zur Diskussion. Der dunkle Fleck in der Vita von Eugenie Schwarzwald blieb dabei nicht unerwähnt: Sie bezeichnete sich in einem Brief sarkastisch und angeblich nicht in vollem Ernst als Antisemitin.
Eugenie Schwarzwald dechiffriert
In der Wiener Erinnerungskultur manifestiert sich diese Ambivalenz durch eine eher zurückhaltende Ehrung. Ein kleiner Weg in der Donaustadt ist nach ihr benannt und neuerdings auch ein Saal im renovierten Parlament. Aufgrund ihrer bürgerlichen Herkunft und konservativen Einstellungen, die nicht nahtlos in das progressiv-sozialistische Gesellschaftsbild Wiens passen, scheint ihre Anerkennung verhaltener auszufallen, als bei anderen Frauen ihres Kalibers. Es spricht vieles dafür, dieses Bild zu korrigieren.
In der Realschule von Eugenie Schwarzwald wurden vornehmlich Mädchen jüdischer Herkunft unterrichtet, sie half Flüchtlingen aus Deutschland ab 1933 den Konzentrationslagern zu entkommen und sie unterstützte verfolgte Sozialdemokraten. Die Aufklärungsarbeit von Robert Streibel und anderen Historikern trägt maßgeblich zu einer differenzierten Betrachtungsweise bei.
Ausstellung in der VHS Hietzing
Mit der Neueröffnung der VHS Hietzing (13., Hofwiesengasse) hat die Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald einen Ehrenplatz erhalten. An der Fassade prangt ein Spruch von ihr „Ich habe in meinem Leben nie Klagen gelernt; ich war wirklich immer begeistert und geneigt, alle Dinge so lange zu drehen, bis ein Rosenschimmer von ihnen ausging.“ und im Stiegenhaus gibt es eine Dauerausstellung, die ihr Leben und Wirken dokumentiert. “An Eugenie Schwarzwald faszinieren mich ihr Tatendrang, ihre vielfältigen Aktivitäten, ihr fast unerschütterlicher Optimismus und der Glaube an das Gute im Menschen”, erklärt Direktor Streibel sein Engagement, das viele Jahrzehnte zurückreicht.
Bereits Anfang der 1990er-Jahre hat er Treffen für ehemalige Schwarzwald-Schülerinnen veranstaltet und ihre Erinnerungen akribisch aufgezeichnet. 2018 erschien der von ihm herausgegeben Band “Das Vermächtnis der Eugenie” im Löcker Verlag. Mit der Übersetzung des Bändchens der dänischen Schriftstellerin Karin Michaelis „Die fröhliche Schule“, die Robert Streibel 2020 ebenfalls im Löcker Verlag möglich gemacht hat, liegt auch ein authentisches Zeugnis des Schulalltags der Schwarzwaldschule vor.
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