Wien

Nehammer schießt Corona-Pfeile auf Rote Stadtregierung

© APA / Helmut Fohringer

Aufgrund welcher Indizien, aufgrund welcher Zahlen wird eine solche Terminologie verwendet, fragt sich Bürgermeister Michael Ludwig, nachdem seine Stadtregierung für Versäumnisse bei der Corona-Bekämpfung von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) seit Tagen gescholten wird. Eine durchaus berechtigte Frage möchte man meinen, da es kaum noch Erkrankte gibt und es bisher sehr wenige gab. Das sind keine Neuigkeiten. Schon zwei Wochen nach Ostern stand fest, dass mehr Kontakt der Bevölkerung zueinander keine negativen Effekte bewirkt, also nicht einmal eine vermehrte Infektion.

Das Gezänk zwischen Stadt Wien und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Sachen Corona-Bekämpfung ist auch am Dienstag nicht abgeklungen. Man tauschte wieder Unfreundlichkeiten aus. Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) versucht sich nun als Streitschlichter und lädt das Innenministerium zur nächsten gemeinsamen Arbeitssitzung zum Infektions-Cluster Wien/Niederösterreich ein.

Rudi Anschober als Streitmoderator

"Aus meiner Sicht ist die Bekämpfung der Krise weiterhin vielfach wichtiger als Parteipolitik", appellierte Anschober an die Streitparteien ohne diese konkret zu nennen. "Die Corona-Krise ist noch nicht vorbei. Wir sind gut unterwegs, aber ein kleiner Fehler, eine kleine Unachtsamkeit, ein kleines Unterschätzen können ausreichen, um eine zweite Welle auszulösen. Das wollen wir mit aller Kraft verhindern, es wäre für unsere Gesundheit, für unsere Gesellschaft, für die Wirtschaft und für unsere soziale Lage katastrophal. Dafür braucht es die Zusammenarbeit aller", so Anschober.

Sozialminister Rudolf Anschober mit modischem Accessoire bei der Nationalratssitzung am 22.04.2020 | © Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen

Er werde in die nächste gemeinsame Arbeitssitzung zum Wien/Niederösterreich-Cluster auch Vertreter der SKKM-Krisenkoordination und damit des Innenministeriums an den Tisch einladen. "Hier braucht es jetzt Zusammenarbeit in allen Bereichen." Nehammer hatte kurz davor neuerlich der Stadt Wien - zumindest indirekt - vorgeworfen, nicht alles zu tun, um eine zweite Corona-Welle zu verhindern. Denn Wien verzichte als einziger Ort in ganz Österreich auf die "Überwachung von Quarantänemaßnahmen durch die Polizei".

Wien-SPÖ soll Rambo-Methoden anwenden

Er mache der Stadt Wien neuerlich das Angebot, Contact Tracing mit Hilfe der Polizei durchzuführen, um "rasch Infektionsketten zu durchbrechen". "Das muss unser gemeinsames Ziel sein", so Nehammer, der am Montag noch von einer "Mahnung an die Stadt Wien" gesprochen hatte. Da 60 Prozent der Neuinfektionen in Wien registriert werden, brauche es "einen Wellenbrecher", damit eine zweite Welle "uns nicht wieder die Normalität nimmt". Die Gefährlichkeit des Virus sei noch nicht vorbei.

Den Vorwurf, dass er mit seiner Kritik an die rot-grün-regierte Stadt Wahlkampf betreibe, wies Nehammer zurück. Ihm gehe es nicht um "politische Spielchen", er habe als ÖVP-Generalsekretär genug Wahlkämpfe erlebt. "Mein Bedarf und Bedürfnis nach Wahlkämpfen ist absolut gestillt. Ich stelle nur ein Hilfsangebot an die Stadt Wien."

Ludwig bittet Kurz um Streithilfe

Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich erbost und forderte einen Ordnungsruf von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Man werde sich diesen Umgang nicht gefallen lassen, so der Stadtchef. "Wenn die selbst ernannte Flex des Bundeskanzlers davon spricht, er muss Wien vor einem Tsunami bewahren oder er möchte jetzt einen Wellenbrecher vor Wien errichten, frage ich mich: Aufgrund welcher Indizien, aufgrund welcher Zahlen wird eine solche Terminologie verwendet?", zeigte sich Ludwig in einer Pressekonferenz verärgert.

Michael Ludwig besucht hin und wieder "sakrale Räume" so wie hier im Stephansdom | © keymedia.at

Er weist zudem wie schon Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) darauf hin, dass nicht das Innenministerium, sondern das Gesundheitsministerium zuständig und damit auch Ansprechpartner für die Stadt sei. "Wir arbeiten mit dem zuständigen Bundesminister Anschober sehr gut zusammen."

SPÖ hat sich verrechnet

Die Wiener SPÖ hat immer brav mitgespielt und etwa auch mit bulligen Marktordnern selbst ihre Muckis spielen lassen. Jenen Dank von Seiten der ÖVP und Nehammer hat man offenbar nicht erwartet. Mitgefangen, mitgehangen frohlocken nun alle Zyniker, die von der Opposition enttäuscht sind, weil sie die Regierungspolitik unterstützt hat. Viele Beschäftigte in der Wiener Stadtverwaltung erleben die Corona-Krise derweil durch die rosa Brille, weil sie keinen Groschen eingebüßt haben.

Kommentar:

Die SPÖ glaubt an eine Wahl zwischen roten und türkisen Masken im Herbst, als hätten die Wiener keine anderen Sorgen. Wer der Schmied will, aber braucht nicht den Schmiedl wählen. Hinzugewinnen werden jene Fraktionen, die sagen: runter mit den Masken. Gewinnen wird die ÖVP wegen ihrer harten Linie. Wenn sich alle Parteien gegen die SPÖ verbünden, ist das Rote Wien vielleicht bald Geschichte. Millioneninserate in Boulevardmedien werden das Fiasko lindern, glaubt man. Wer die Blätter aus den ungeschützten Entnahmeboxen bis zum Herbst angreift, könnte sich und andere wohl auch gefährden, solange Corona-Keime darauf sprießen.

Aufgrund welcher Indizien, aufgrund welcher Zahlen wird eine solche Terminologie verwendet? Es wäre Zeit, darüber nachzudenken und den Rechenstift zu zücken. Die Bewegungsdaten der Mobilfunkbetreiber, die genauen Opferstatistiken, wo sind sie geblieben? Die "zweite" Welle ist die letzte Chance für alle Zyniker, doch noch Recht zu behalten. Zahlen und Indizien braucht es bei dieser SPÖ nicht. Hausverstand würde reichen.

(APA/red/key)

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